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'Europa 2009 D.C.': Comic-Reise durch eine Welt der Klischees

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Kultur

Ein Cartoonist und dessen Lieblingsautor beschließen, einen außergewöhnlichen Sommer zu verbringen und machen sich per Transporter auf eine Reise entlang der Mittelmeerküste. Herausgekommen ist „Europa 2009 D.C.“

Die Protagonisten sind der Cartoonist Giuliano Cangiano und der Autor Gianluca Ferro, in der Kunst das erprobte Satiriker-Duo Kanjano&Ferro, das schon seit Jahren in Under- und Overground-Magazinen ebenso wie in italienischen Tageszeitungen wie L’Unità und Liberazione und permanent in der digitalen Web-Welt „sein Unwesen treibt“. „Nach Osten zu fahren, erschien uns zu cool und so haben wir beschlossen, uns mit den Völkern und Stereotypen auseinanderzusetzen, deren Echo laut zu uns herüberhallt“, erklärt Kanjano.

So starteten unsere Helden in einem alten Transporter mit Gasantrieb und einem in wenigen Stunden angeheuerten Sponsor - einem Hersteller von Gasantrieben - unter der Julisonne und besuchten die Côte d'Azur, die Pyrenäen, Katalonien, Andalusien, Estremadura, Portugal, Galicien und das Baskenland, bewaffnet nur mit Bleistift und Zeichenblock und im Kopf die berühmtesten Stereotypen des europäischen Panoramas: von der Baguette über Toreros bis hin zu Kastagnetten.

«Mucho encantado señorita!»

… und dem Wunsch, Europa nicht zu „beschreiben“

Aber schon nach wenigen Cartoons ist Schluss mit Stereotypen: Das Satiriker-Duo startet noch nicht einmal den Versuch einer soziologischen Analyse, weder simpel noch intellektuell, und die weiteren Seiten fließen dahin, leicht und schnell, wie eine Pause auf dem Schulhof. „Wir hatten nicht die Absicht, Europa zu beschreiben. Hierfür hätte man 10 Jahre lang mit dem Fahrrad unterwegs sein müssen“, erklärt Kanjano. Vielmehr wollten sie „sich selbst erzählen“, unterwegs in einzelnen Stückchen von Europa, im Stil des Reiseberichts, mit spontanen Eindrücken, die sich in Bildern, Zeichnungen und Skizzen konkretisieren.

In den Straßen von MarseilleHier kommt also die erste Ansichtskarte vom Sommer 2009, aus einem Marseille in Flammen, wo sich im vergangenen Juli Hunderte Hektar Wald in eine trostlose Mondlandschaft verwandelt hatten. Dann ein Flash aus Arles, überwältigt von dem aggressiven „Territorialmarketing“ der französischen Stadt, das sie nicht verschont. Hier gibt es alles, von falschen Heiligenreliquien, die zum Verkauf angeboten werden, bis hin zum römischen Erbe, das in Kombination mit den Lebenswegen von Van Gogh dem cleveren Touristen gebrauchsfertig als All-Inclusive-Paket angeboten wird. „Viele der besuchten Orte präsentieren sich wie Köder für Touristen, die jede Art von Stereotyp für ihre Marketingstrategien ausbeuten“, beobachtet Kanjano. „Zu glauben, dass sich ein ganzes Volk in solch allgemeinen Bildern reflektieren könne, ist absolut irrsinnig.“

Die Basken und die ETA? Mehr „Omertà“ als in Sizilien

Die wahrscheinlich außergewöhnlichste und gehaltvollste Skizze erreicht uns aus Bilbao. Hier besuchten unsere Autoren ein Fest der ETA, am Abend des 30. Juli, nur wenige Stunden vor den Sprengstoffanschlägen in Burgos und Mallorca, die der separatistischen Baskenbewegung zugeschrieben wurden. Auf die wiederholte Frage, was denn hier gefeiert würde, gab es nur vage Antworten oder verschlossene Gesichter, die sich hinter einem „non compriendo“ verbargen. „Im Baskenland von der ETA zu sprechen, ist schlichtweg unmöglich. Die Omertà in Sizilien ist im Vergleich dazu schon fast geschwätzig.“

Alla festa dell'Eta

Und über Omertà wissen Kanjano&Ferro einiges. Sie stammen beide aus der sizilianischen Stadt Catania und lernten sich im Jahr 2001 in der Redaktion von Erroneo kennen. Vier Jahre später wurde die Veröffentlichung dieses kleinen, unabhängigen Antimafia-Blattes aufgrund zahlreicher Klagen der lokalen Machthaber eingestellt. Nach dieser Erfahrung beschlossen die beiden jungen Autoren, Sizilien zu verlassen und arbeiten seitdem künstlerisch zusammen.

Abschließend frage ich, ob sie die „Seele Europas“ gefunden haben, nach der sie suchten: „Wir haben mindestens tausend Seelen gefunden, man kann sie gar nicht alle aufzählen“, schließt Kanjano. Also starte ich den Versuch, über dieses „Europa 2009 D.C.“ Bilanz zu ziehen. Ventimiglia, Côte d'Azur, Marseille, Arles, Montpellier, Carcassonne, Bilbao, Gijon, Santiago und Oporto bilden die geografische Basis des Werks. Im Jahr 1958 hingegen zeichnete der italienische Regisseur Alessandro Blasetti - auch er auf der Suche nach dem „Geist Europas” - in seinem Dokumentarfilm Europa di notte (Europa bei Nacht, A.d.R.) eine Verbindungslinie zwischen den großen Hauptstädten wie Paris, Rom, Berlin, Madrid und Moskau: Allein schon die neue geografische Perspektive weist auf eine veränderte Wahrnehmung des heutigen Europas hin.

Illustrationen: ©kanjano/flickr

Translated from "Europa 2009 D.C.": un viaggio pieno di cliché