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Erster Film aus Saudi-Arabien: Das Mädchen Wadjda

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Kim Winkler

Kultur

Die zehnjährige Wadjda träumt vom grünen Fahrrad mit den bunten Bändern am Lenker. Es gibt nur ein Problem: Für Mädchen in Riad gehört es sich nicht, Fahrrad zu fahren. Doch wo ein Wille ist, muss auch ein Weg sein. Zum Abschluss des Human Rights Watch Film Festivals in London feierte ein ausverkaufter Kinosaal den saudi-arabischen Film Das Mädchen Wadjda mit rauschendem Applaus.

Es sind gleich zwei erste Male: Als erste weibliche Filmemacherin in Saudi-Arabien hat sich Haifaa Al Mansour mit ihrem Spielfilm Das Mädchen Wadjda (2012) auch zum ersten Mal daran gemacht, einen Film vollständig in ihrem Heimatland zu drehen. In einem Land, in dem es keinen öffentlichen Kinosaal gibt, ist das alles Andere als selbstverständlich. Unterstützung aus Europa holte sich die Regisseurin mit dem Berliner Produzentenduo Roman Paul und Gerhard Meixner, das sich schon in Paradise Now (2005) und Waltz With Bashir (2008) mit dem Nahen Osten beschäftigt hatte.

Al Mansours Heldin in Das Mädchen Wadjda (Waad Mohammed) lässt sich von Vorschriften und Verboten nicht besonders beeindrucken. Unter ihrem Hidschab blitzen ihre Chuck Taylor Turnschuhe hervor. In ihrer Schultasche trägt sie Musikkassetten mit westlicher Popmusik - sehr zum Missfallen der Schulleiterin, die sie regelmäßig in ihre Schranken weist. Auch an die strikte Kleiderordnung solle Wadjda sich halten. Das Mädchen gelobt fortan aber Besserung, damit sie in den Koranklub aufgenommen wird. Außerdem will sie das Kopftuchtragen zunehmend ernster nehmen und macht ihre Schuhe mit einem schwarzen Filzstift ‚konformer’.

Vom Eintritt in den Klub erhofft sich die Schulleiterin, dass Wadjda zur Vernunft kommt und sich dem Gehorsam der anderen Mädchen anschließt. Doch weit gefehlt: Da sie mit dem Verkauf von Freundschaftsbändern auf dem Schulhof nicht annähernd genug Geld für das Rad zusammenkriegt, kommt der bevorstehende Koran-Rezitier-Wettbewerb wie gerufen: Dem Gewinner stehen eintausend Rial (ca. 200 Euro) zu.

Erinnerungen an Persepolis

Der Film erinnert an die im Jahr 2007 erschienene Verfilmung des autobiografischen Persepolis-Comics, in dem Marjane Satrapi von ihrer Kindheit und Jugend im Iran während und nach der Islamischen Revolution erzählt. Genau wie Marji ist auch Wadjda ein weltoffenes Mädchen, das mit ihrer Individualität aus dem Rahmen fällt und unter der religiösen und kulturellen Unterdrückung ihres Landes zu kämpfen hat. In beiden Filmen wird sich humorvoll einer ernsten Thematik genähert.

Dem Zuschauer fällt es somit leichter, sich mit der Protagonistin aus der fremden Kultur zu identifizieren. Eine Kultur, in der Frauen nicht viel zählen. Als Wadjda sieht, dass sie – genau wie alle anderen weiblichen Familienmitglieder – nicht im Stammbaum der Familie vertreten ist, versucht sie, diesen Irrtum zu beseitigen und klebt kurzerhand einen Ast mit ihrem Namen an den Baum. Am nächsten Morgen ist er wieder weg.

Auch wenn der Film nur einen kleinen Einblick in die Unterdrückung von Frauen in Saudi-Arabien erlaubt, war es den Organisatoren des Human Rights Watch Film Festivals in London daran gelegen, mit dieser rührenden Geschichte auf die Situation von Frauen auf der arabischen Halbinsel aufmerksam zu machen.

In ihrem aktuellen World Report berichtet die NGO Human Rights Watch über die Unterdrückung von Frauen und jungen Mädchen in Saudi-Arabien: Reisen oder das Führen offizieller Geschäfte ist ihnen untersagt. Auch für manche medizinische Eingriffe brauchen sie die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds. Die Regisseurin Al Mansour hat während des Drehs aus einem Fahrzeug heraus Regie geführt, da sich die Leute mit dem Anblick arbeitender Frauen auf der Straße schwer tun.

Mit einem Videospiel der Art Wer wird Millionär bereitet sich Wadjda schlussendlich auf den großen Tag vor. Solange sie die Haustür nicht verlässt, hat man den Eindruck, ein zehnjähriges Mädchen aus der eigenen Nachbarschaft zu beobachten. Das verschärft den krassen Gegensatz zur Straße, wo sie ihre Röhrenjeans mit dem bodenlangen Gewand verhüllt und es mit ihren Individualitätsrechten dahin ist.

Auf internationalen Filmfestivals kam der Film über das Mädchen mit dem Fahrrad gut an. Weltpremiere feierte Das Mädchen Wadjda im vergangenen August bei den Festspielen in Venedig und gewann den Cinema d’Arte e d’Essai Award. Beim internationalen Filmfestival in Dubai im Dezember 2012 gewann er den Preis für besten Film und die beste Darstellerin; Ende März eröffnete Al Mansours Drama das Beiruter Festival, das in diesem Jahr die „Geburt des neu entstehenden arabischen Kinos“ feiert. In Deutschland muss man sich noch bis zum Sommer gedulden, um zu erfahren, ob der kleine Dickschädel gegen die Wand der restriktiven Gesellschaft läuft oder den Durchbruch schafft. 

Deutscher Kinostart von Das Mädchen Wadjda: voraussichtlich am 15. August

Illustrationen: ©Razor Film; Haifaa Al Mansour mit freundlicher Genehmigung @offizielle Facebook-Seite von Haifaa Al Mansour; Trailer (cc)FilmIsNowEU/YouTube

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