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Eine Wahl für Europa?

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Europäische Föderalisten

Von Julia Brink, Jungen Europäischen Föderalisten

Die europäischen Institutionen bekämpfen die geringe Beteiligung an den Europawahlen mit einer gemeinsamen europaweiten Strategie und dem Motto: „Deine Entscheidung!“. Das Problem: Eine Entscheidung setzt verschiedene Wahlmöglichkeiten voraus. Eine gemeinsame Kampagne erfordert eine gemeinsame Diskussion.

Paradoxerweise hat die Beteiligung an den Europawahlen seit den ersten direkten Wahlen 1979 stetig abgenommen, während das Europäischen Parlament parallel dazu kontinuierlich an Macht gewann. Immer mehr Gesetze werden von der „Bürgerkammer” verabschiedet, während immer weniger Bürger Gebrauch von ihrem Wahlrecht machen, um diese Entscheidung direkt zu beeinflussen.

EP elections comm campaign "Wie offen sollten unsere Grenzen sein?" - befürwortet das Europäische Parlament eine Festung Europa?

Alles dreht sich um Entscheidung

Dieses Jahr sieht die Kommunikationsstrategie des Europäischen Parlaments erstmals nicht vor, die Bürger an ihre Pflicht und Verantwortung zu erinnern – in den Europawahlen 2009 dreht sich alles um Entscheidung. Die Hauptinformation ist, dass jeder Wahlberechtigte europäische Politik durch ein Kreuz auf dem Stimmzettel direkt beeinflussen kann. Diese Botschaft wird mit einer einzigen Kampagne europaweit verbreitet: Postkarten, Plakate und dreidimensionale Installationen, die wichtige Fragen zu Energie, Sicherheit, Marktwirtschaft, Klimawandel, Verbraucherschutz und anderen wichtigen Bereichen aufwerfen. In so genannten “choice boxes” können Interessierte Kommentare und Ansichten zu europäischen Themen aufnehmen. Ausgewählte Szenen werden auf Europarl TV, Youtube und Bildschirmen an den Außenwänden der Boxen abgespielt. Um alle potenziellen Wähler zu erreichen, wird die Kampagne auch im Fernsehen und Radio präsent sein; My Space, Flickr und Facebook sollen junge Wähler anziehen.

So weit, so gut. Europa steht wichtigen Herausforderungen gegenüber, bedeutsame Entscheidungen stehen an. Es ist unbedingt nötig, dass die Bürger Einfluss auf die Richtung der zukünftigen Politik nehmen können. Positiverweise haben sich das Europäischen Parlament und die Europäische Kommission auf eine einzige Kampagne in ganz Europa geeinigt, die Fragen aufwirft, die zweifelsohne auf europäischer Ebene diskutiert werden müssen. Aber inwieweit ist diese Kampagne wirklich eine europäische und inwieweit liegt die Entscheidung wirklich bei den Wählern?

Die Katze im Sack “wählen”

Es ist richtig, dass die Europäische Union großen wirtschaftlichen, finanziellen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen gegenübersteht, die nur von allen Mitgliedstaaten gemeinsam gelöst werden können. Die Kampagne des Europäischen Parlaments soll verdeutlichen, dass die Wähler die Entscheidungen der nächsten Legislaturperiode durch ihr Kreuz für diese oder jene Partei beeinflussen können. Auf europäischer Ebene zu wählen ist allerdings immer noch ein bisschen wie die Katze im Sack zu kaufen. Der Wähler entscheidet sich für eine nationale politische Partei, die im Parlament Teil einer europäischen Partei wird. Auf dem Stimmzettel gibt es keinen Hinweis darauf, welche Partei dies sein wird.

Wenn das Europäischen Parlament Wahlmöglichkeiten bietet, sollte es auch deutlich machen, worin diese bestehen und was ihre Folgen sind. Die Namen und Logos der Gruppen im europäischen Parlament auf dem Wahlzettel hinter die nationale Partei zu setzen wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es würde jedoch nichts daran ändern, dass europäische Parteien aufgrund ihrer Natur als Zusammenschluss nationaler Parteien sehr heterogen sind. Die einzige Möglichkeit, wirklich zu wissen, wofür diese Parteien stehen und eine richtige Wahl zu treffen, ist direkt für europäische Parteien zu stimmen. Deren transnationale Listen würden den Bürgern erlauben, Kandidaten aus ganz Europa zu wählen - egal, wo diese herkommen.

Barroso, Barroso oder Barroso?

Es beginnt mit den Namen der europäischen Parteien und geht mit den Gesichtern der Kandidaten zu den wichtigsten EU Positionen weiter. Wieviel können wir wirklich mitentscheiden? Wen wählen wir, wenn wir unsere Stimme dieser oder jener Partei geben? Prinzipiell könnten die europäischen Bürger mit ihrer Stimme für eine bestimmte Partei automatisch die Zusammensetzung der Exekutive, der Europäische Kommission, beeinflussen. Direkt im Anschluss an die Wahlen zum Europäischen Parlament wird der nächste Kommissionspräsident ernannt. Die ”Bürgerkammer” hat hier das letzte Wort. Es ware überaus sinnvoll und demokratisch, wenn der Kandidat der stärksten Partei oder Koalition Kommissionspräsident werden würde. Auf diese Weise könnten die Wähler die Zusammensetzung der Kommission beeinflussen und sie zur Rechenschaft ziehen. Hierfür wäre es allerdings nötig, dass Parlament und Parteien in der Europäischen Union ihre Verantwortung, politische Entscheidungen ernsthaft zu präsentieren, ernstnehmen, und einen Kandidaten für diese Position nominieren. Bisher hat das keine Partei getan. Namen und Gesichter der Kandidaten für die wichtigsten politischen Positionen der europäischen Institutionen werden erst nach der Wahl bekannt gegeben. Egal für wen die Menschen in Europa stimmen, der Kommissionspräsident wird aller Wahrscheinlichkeit nach Barroso bleiben. Die Unterstützung der meisten Staats- und Regierungschefs für eine zweite Amtszeit hat er bereits – selbst die von Sozialisten wie Brown und Zapatero. Parlament und Bürger werden nicht gefragt. Was steht also zur Wahl? Es überrascht nicht, dass viele europäische Bürger denken, ihre Stimme zähle nicht und das ganze EU System sei intransparent. Von diesem Standpunkt aus klingt eine Kampagne mit dem Slogan „Deine Entscheidung!“ im besten Falle ironisch. „Entscheiden“ bedeutet, dass man zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen kann. Wenn die europäischen Parteien keinen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten benennen, werden die Bürger ihre „Entscheidung“ nicht lange überdenken müssen: Zur Wahl stehen Barroso, Barroso und Barroso.

Eine gemeinsame europäische Kampagne?

Europäischen Wahlen sind immer noch national dominiert. Die „Entscheidung“ der Bürger fällt lediglich zwischen ihren eigenen nationalen Parteien, nicht zwischen transnationalen Parteien mit Kandidaten aus allen Ländern. Die Konsequenz: Diskussionen sind auf die nationale Ebene begrenzt. Fragen wie „Mobilität sichern – aber wie?“, „Freiheit und Sicherheit verbinden - aber wie?“ und „In die Zukunft investieren – aber wie?“ sind sehr wichtig. Solange sie nicht grenzenübergreifend diskutiert werden, solange Parteien Kampagnen führen, die auf nationale Politik beschränkt sind, wird es auf diese Fragen jedoch keine Antwort geben. Stattdessen werden sie in die nächsten nationalen Wahlen einfließen – die in einigen Ländern, wie Deutschland, ohnehin die europäischen Wahlen überlagern. Da die Kampagne des Europäischen Parlaments auf die einzelnen EU Mitgliedsstaaten zugeschnitten ist, unterstützt sie zu die Tendenz, Debatten auf nationaler Ebene zu führen. Beispielsweise werden die Poster und Installationen, die sich mit Einwanderungsfragen beschäftigen, vor allem in Südeuropa präsent sein. Auf ihnen ist eine Festung und eine Hecke abgebildet, gemeinsam mit der Frage „Wie offen sollten unsere Grenzen sein?“. Abgesehen davon, dass diese Präsentation überaus suggestiv wirkt, vereinfacht sie dieses komplizierte Thema so sehr, dass es schwierig sein wird, ernsthafte darüber zu diskutieren - vor allem auf europäischer Ebene.

So geht die Strategie am wichtigsten Punkt vorbei: Zu erklären, warum es essentiell ist, die genannten Probleme auf europäischer Ebene zu lösen und Debatten anzuregen, die über die nationale Perspektive hinausgehen. Eines der Hauptanliegen der Kampagne war es, die Sprache der Bürger zu sprechen, die Botschaft ist: „Deine Entscheidung!“. Es ist Zeit für das Europäische Parlament, seine Wähler in richtige Diskussionen einzubeziehen. Es ist Zeit, die Basis für richtige Entscheidungen zu schaffen.