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Eine Reise zu den Marionetten der sizilianischen 'Opra di Pupi', Teil des Unesco-Welterbes

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Barbara W.

Viele halten Palermo als solches bereits für ein Freilufttheater, doch auch auf den kleinen Bühnen der Stadt wird seit nahezu 200 Jahren eine Geschichte aufgeführt, die unverändert von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben wird: die der Puppenspieler und der Opera dei Pupi. (Fotoreportage)

Die Opera dei Pupi siciliana (kurz Opra genannt) entstand 1826 in Palermo, doch ihre Wurzeln reichen noch sehr viel weiter zurück. Man denke nur daran, dass die französischen Chansons de geste, von denen sie inspiriert ist, schon zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert aufgekommen sind.

Diese Form des Volkstheaters wurde mit der Zeit zu einer Art "Nationalkunst", die neben den Marionetten auch die Bauart der Puppentheater selbst, die Plakate (informative und zusammenfassende Reklametafeln), die sizilianischen Karren und den Stil einiger Wanderimbissverkäufer umfasst. Dem ist es zu verdanken, dass die Opra für die Mehrheit der Sizilianer eine "genuine" Erfahrung darstellt. Die Kunst ist ein Handwerk, das bis ins kleinste Detail gepflegt wird - man denke nur an die Radfelgen der Karren, die von Hand mit millimetergenauen Blumenmotiven dekoriert werden.

Für viele Handwerker war die Opera dei Pupi ein Weg, um aus der Krise auszubrechen, die damals im spanischen Königreich herrschte. Und als sich diese Theaterform durchsetzte, übernahm das Volkstheater letztlich eine erzieherische Aufgabe für eine Bevölkerung, die nahezu vollständig aus Analphabeten bestand. Das Publikum identifizierte sich mit den Geschichten der Marionetten, denn diese behandelten Themen, die den Sizilianern am Herzen lagen: religiöser Glaube, heroische Leidenschaft, die Liebe zum Vaterland und schließlich der Triumph mythischer Helden, die den Kampf des Guten gegen das Böse verkörperten. Unbewusst erkannten sich die Zuschauer selbst in den Puppenversionen ritterlichen Edelmuts wieder. 

Ist die Opra heute noch lebendig? 

In den 50er Jahren machte die Ausbreitung des Fernsehens dem Theater zu schaffen. Die Geschichten waren in 300-400 Episoden unterteilt, die jeden Nachmittag und Abend aufgeführt wurden und genauso der Unterhaltung dienen sollten wie der Fernsehbildschirm, der jedoch bald als Alleinunterhalter fungierte.

Einen weiteren schweren Schlag erlebte die Opra in den 80er Jahren, als die Behörden die Marionetten beschuldigten, mafiöses Verhalten des Publikums zu fördern, und zahlreiche Puppentheater geschlossen wurden. Ein mutiger Mensch beharrte darauf, dass es sich um ein Versehen handelte, doch im Zusammenhang mit dem Wort "Mafia" kann man sich leicht die Finger verbrennen.

Schließlich hat die Unesco die Opera dei Pupi 2001 in die Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Kulturerbes aufgenommen, eine internationale Anerkennung, die bislang nur sechs weiteren italienischen Künsten zuteil geworden ist. Doch warum gibt es dann bis heute nur drei Marionettentheater, die sich in den engen Gassen Palermos verstecken?

Die Aufnahme hat reichlich Anlass zur Spekulation geboten: Man muss nur eine Marionettensammlung besitzen, um als Bewahrer des immateriellen Kulturerbes zu gelten; die Puppentheater als solche werden somit nicht anerkannt, sondern auf eine Ebene mit Privatsammlern gestellt.

An der Tradition der 'Maestri Pupari' wird festgehalten

Die Marionettentheater gehören den Puppenspielermeistern: Vincenzo Argento, Mimmo Cuticchio und Enzo Mancuso

Die Werkstatt von Meister Vincenzo Argento ist bis in den letzten Winkel mit Marionetten vollgehängt. Um sie zu betreten, muss man einer Flugsauriermarionette ausweichen. Er selbst sitzt auf einem Bänkchen neben einem Tisch mit all dem Werkzeug, das er zum Anfertigen und Reparieren der Puppen- und Bühnenteile benötigt. Dort arbeitet er unter der Woche allein und lässt dann am Wochenende seine Darsteller im nur wenige Meter entfernten Puppentheater auftreten. Von einigen wird er als der "beste Marionettenbauer" bezeichnet (Felice Cammarata, Pupi e carretti, Palermo, Italo-Americana Palma, 1976).

“Guten Tag, ich recherchiere zum Thema sizilianische Marionetten; sind Sie Vincenzo?” 

“Ja, bitte?”

“Ich habe hier ein Buch, in dem Sie als der beste Marionettenbauer bezeichnet werden …”

“Ja, das bin ich.”

Im Laufe mehrerer Vormittage in Gesellschaft von Meister Argento offenbaren sich die Leidenschaft dieses Marionettisten und sein Bedauern über seine vergeblichen Versuche, Lehrlinge einzustellen, die die Tradition fortführen könnten: Die Besucherzahlen sind zu gering, und das Publikum besteht hauptsächlich aus Schüler- und Touristengruppen. "E si 'un vieni nuddu, nni taliamu nnu specchio" (Wenn niemand kommt, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns im Spiegel anzuschauen), sagt er. Aber es gibt noch andere interessante Anekdoten über die Konkurrenz zwischen den Puppenmachern, die nur selten kooperieren, denn "Wir sind alle neidisch auf unsere Arbeit und jeder hält sich selbst für den Besten", räumt Argento ein.

Wir setzen unsere Erkundungen im Teatrino Stabile "Carlo Magno" der Künstlersöhne Mancuso im Stadtteil Borgo Vecchio fort. Als wir ankommen, bereitet Enzo Mancuso gerade ein Stück über die Passion des Ruggero vor, eine Geschichte in 360 Episoden. "Früher kannte das Publikum die aufgeführte Geschichte, heute kommt es zufällig zusammen", erläutert Mancuso. Daher muss der Puppenspieler die Dramaturgie der Szenenabläufe weiter bearbeiten, so dass die Geschichte des legendären Ruggero auf die vierzig wichtigsten Episoden zusammengekürzt wird.

Ein Puppenspieler wie Enzo Mancuso schafft es nur dank wirtschaftlicher Opfer, seine sehr lange Familientradition am Leben zu erhalten. Mit bekümmerter Miene erinnert er sich daran, wie er vom Tourismusamt von einem Tag auf den anderen aufgegeben wurde. Das Puppentheater "Carlo Magno" befindet sich tatsächlich direkt hinter einem bekannten Hotel, das immer gut von Touristen besucht ist, die gerade am Hafen angekommen sind. Doch zu ihm verirren sich die Besucher nur durch Zufall, da es an Informationen für die Reisenden fehlt. Die zweite Publikumshälfte besteht aus Schülergruppen, die allein wegen der Begeisterung einzelner Lehrkräfte und nicht aufgrund einer konkreten didaktischen Entscheidung kommen.

Und die Marionetten wandern aus ... 

Daher sehen sich die Marionetten "gezwungen", von Zeit zu Zeit ihr Heimatland zu verlassen, um an europäischen Figurentheaterfestivals teilzunehmen (es existieren sehr ähnliche Theaterformen in Frankreich und Belgien).

Die Puppenspieler müssen alles können: vom Bau des Puppentheaters und der Marionetten bis zur Regie der Stücke. Während des Besuchs bei Maestro Mancuso kommt Pietro Sasso vorbei, ein Bildhauer aus Palermo, der mit der Gestaltung seiner Ausstellung "Dialogando con il legno" (Im Dialog mit Holz) beschäftigt ist. Die beiden sind Freunde und respektieren ihre gegenseitige Arbeit. Pietro fragt: "Ist er fertig?" Enzo antwortet: "Na klar ist er fertig."

Vor meinen Augen erscheint ein gekreuzigter Christus, den Enzo für seinen Freund Pietro repariert hat. Ein echtes Kunstwerk.

Dann gibt es noch Mimmo Cuticchio, international bekannter Theaterschauspieler und Liedermacher und Erbe der von der Unesco geschützten Tradition der "cuntisti" (Geschichtenerzähler). Im Juni 2016 wurde er mit dem Premio Ravesi "Dal Testo allo Schermo" ausgezeichnet, der vom Ehrenkomitee des SalinaDocFests vergeben wird. Bei der Nachrichtenagentur Ansa liest man dazu: "Das Ritterepos kehrt mit seiner utopischen Kraft zurück, um uns daran zu erinnern, dass Europa eine gastfreundliche Mutter sein sollte und Migration keine Straftat ist. Wenn eine Dokumentation die Realität anhand einer Geschichte dokumentiert, macht Mimmo Cuticchio genau das Gegenteil: Er geht vom großen ritterlichen Geschichtsepos aus, um in der heutigen Realität anzukommen und uns von unserer Bestimmung in der Welt zu erzählen."

"Nun sind die Paladine dabei, die Welt zu erobern; nach und nach erwerben sie die Patina des antiquarischen Objekts, doch um dies zu tun, haben sie die Bühne verlassen, und ohne die Faszination der Bühne hat die Marionette keine Bedeutung mehr." Felice Cammarata hatte recht. (Pupi e carretti, Palermo, Italo-Americana Palma, 1976).

Translated from L'Opra, viaggio tra pupi siciliani patrimonio Unesco