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Ein bisschen Utopie in Praga, Warschau

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Praga, am östlichen Weichselufer gelegen, ist eines der ältesten Viertel Warschaus. Anders als die Teile der Stadt, die während des Krieges völlig zerstört wurden, spiegelt Praga mit seinen alten Bauwerken, die nicht von der sowjetischen Architektur umgestaltet wurden, noch eine ganz besondere, authentische Atmosphäre wider. Es hat also seinen guten Grund, dass Roman Polanski ausgerechnet das Praga-Viertel als Drehort für seinen Film Der Pianist (2002) gewählt hat. Aber das Viertel wurde mehrere Jahre lang dem Zahn der Zeit überlassen und verfiel zunehmend, ohne dass sich jemand wirklich darum bemühte, dies auf zu halten. Gleichzeitig allerdings siedelten sich im Laufe der vergangenen Jahre gerade hier neue kulturelle Initiativen an: Zwischen einer Kunstgalerie mit Café in einer ehemaligen Wodkafabrik, Underground-Theatersälen und einem bewegten Nachtleben scheint Praga wieder Farbe zu bekommen!

Diese Bildergalerie ist Teil der Reportagereihe “EUtopia on the Ground“, die uns jeden Monat in einer anderen europäischen Stadt von einem besseren Europa träumen lassen wird. Das Projekt wird von der europäischen Kommission im Rahmen einer Patenschaft mit dem französischen Außenministerium, der Hippocrène-Stiftung und der Charles Léopold Mayer-Stiftung finanziert.

Ceylon Bazaar

Ein Schornstein ragt in den blauen Himmel Warschaus, wo der Frühling etwas zaghaft beginnt. Große Kunstinstallationen in leuchtenden Farben verstellen den Eingang in das Gebäude, aus dem Rockmusik aus den 1970er Jahren schallt. Hier befand sich früher eine Wodkafabrik – das Gebäude beherbergt heute die alternative Kunstgalerie Ceylon Bazaar. Agnieszka und Janusz haben Ceylon Bazaar vor etwa 8 Monaten eröffnet und empfangen neugierige Touristen aus der ganzen Welt.

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Ein Ameisenhaufen

„Damals kamen die russischen Soldaten aus der Umgebung, um sich mit polnischem Schnaps einzudecken und ein bisschen Trost zu suchen.“, erklärt Janusz. „Heute kommen die Gäste von überall, sogar aus Kanada oder Frankreich, um zu diskutieren und sich ein Gläschen zu genehmigen.“

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Geordnetes Chaos

Zwischen afrikanischen Stühlen, Leucht-Pinguinen, Postern aus der Epoche des Kommunismus und Unmengen an Schallplatten, fällt es leicht, die Zeit zu vergessen und sich im Ceylon Bazaar stundenlang mit Janusz und Agnieszka zu unterhalten.

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Thekenphilosophie

Während im Hintergrund eine Dokumentation über die Beatles über die Leinwand flimmert, diskutieren wir über Philosophie und Kultur - bei einem frischgebrühten Kaffee (und einem Shot Wodka. Aber Pssst!, hier wird kein Tropfen Alkohol verkauft!).

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Café, Galerie, Trödlerparadies

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Coffee and Cigarettes

„Weißt du, wo man hier noch in aller Herzensruhe eine rauchen kann? In den Kasinos… und im Ceylon Bazaar!“ Janusz lacht schallend und öffnet eine Schachtel Zigaretten – ohne Filter, mindestens 30 Jahre alt.

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Janusz

„Ich hab diesen Laden, weil mir das Spaß macht – und um Menschen zu treffen. Das ist meine Philosophie. Ich möchte den Jungen Ratschläge geben. Hier kann sich jeder zuhause fühlen. Und ich kann jedem, der herein kommt, etwas abgewinnen.“

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Eine bunte(re) Welt

Hinter dem Ceylon Bazaar befindet sich ein Hinterhof, der auf eine andere Kunstgalerie und ein Fotostudio hinaus geht. Ein paar Straßenkünstler haben ihr Bestes gegeben, dem manchmal etwas trist wirkenden Viertel mit ein bisschen Farbe einen fröhlicheren Anstrich zu verleihen.

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Graffiti

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Street Art

In den Straßen von Praga kann man eine Unmenge kleiner versteckter Eingänge finden, die in Hinter- und Innenhöfe oftmals verlassener Häuser führen. Ein Street Art-Paradies für Sprayer und Fotografen.

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Komuna//Warszawa

Kunst findet sich in Warschau nicht nur auf uns in der Straße, sondern auch in seinen vielen Theatern. Theater erleben kann man auch dank der Komuna//Warszawa, einer kulturellen Vereinigung mit Wurzeln in der Anarchismus-Bewegung, die seit etwa 20 Jahren existiert. Außerdem haben die Mitglieder von Komuna //Warszawa einen Piratensender gegründet und bieten in einem besetzten Gebäude ein umfangreiches Konzert- und Kulturprogramm (darunter auch ein Kinderprogramm zum Thema Umwelt).

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Traumtheater um Atatürk

Die letzte Darbietung des Kunstkollektivs war ein Panorama zeitgenössischer Kunst: ein Mix aus Theater, türkischer Musik, chinesischem Schattentheater und Filmaufnahmen aus dem Leben von Mustafa Kemal Atatürk, Revolutionär und Begründer der modernen türkischen Republik. Die Idee entstand nach einer gemeinsamen Istanbul-Reise mehrerer Mitglieder von Komuna //Warszawa. „Wir wollten zeigen, wieso sich dieser Mann dafür entschieden hat, sein Leben dem politischen Kampf zu widmen.“, erklärt Grzegorz. „Aber Atatürk liebte es auch, zu tanzen, er liebte Frauen und Raki. Er ist eine Ikone in der Politik – aber darüber hinaus ist er auch ein Mensch. Genau dies interessiert uns in unserer Arbeit.“

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Alina

Grzegorz und Alina sind seit den Anfängen von Komuna// Warszawa mit dabei. Als junge Studierende waren sie in den 1990er Jahren Teil der Anarchismus-Bewegung Polens. Heute ist ihr Engagement rein künstlerisch – aber regt immer noch zum Nachdenken an.

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Hubert

Hubert ist als letzter zum Kollektiv gestoßen. „Er ist ein sehr guter Freund, ein exzellenter Schauspieler und ein begnadeter Musiker.“, vertraut uns Grzegorz an. „Hubert ist in den letzten Jahren oft in die Türkei gereist, mindestens zehn Mal. Die türkischen Kultur, Musik und Poesie boten ihm viel Inspiration für seine Kompositionen, die wir in das Theaterstück integriert haben.“

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Utopie: ein Nicht-Ort

Viele alternative kulturelle, künstlerische oder auch politische Initiativen werden als utopisch bezeichnet – ihr Selbstbild ist der Wirklichkeit aber stärker verhaftet, als man meinen könnte: „Wir haben die Füße auf dem Boden, wenn wir unsere Ideen ausdrücken.“, erklären die Mitglieder der Komuna//Warszawa. „Wir sind nicht so naiv, zu glauben, dass wir den Lauf der Dinge mit ein bisschen Theater verändern können. Aber Aktionen kommen erst mit dem Nachdenken. Will man wirklich etwas verändern, sollte man wohl in die Politik gehen, wie es Grzegorz 2010 versucht hatte.“ Einer der Aktivisten, der in einem besetzten Haus lebt, erklärt: „Unser Kampf ist nicht utopisch, das unsere Wirklichkeit. Die Menschen hier leben so - Tag für Tag.“

Und dank ihrer Aktionen, ihrer Philosophie und ihren Gedanken können auch wir uns eine andere Zukunft vorstellen. Einen Nicht-Ort. Eine Utopie.

(Foto: © Mathias Ruttens für EUtopia on the ground/Warschau, April 2013)

Translated from Praga, Varsovie : de la désuétude à l’essor culturel