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Dustin nach Lissabon: Wählt Irland Europa ab?

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Barbara Canton

Politik

Wird Irland beim Referendum am 12. Juni mit 'Nein' stimmen? Die Iren sind das einzige europäische Volk, das seine Skepsis gegenüber dem Vertrag von Lissabon äußern darf. Dieser wurde von 17 Mitgliedsländern bereits ratifiziert, kann aber nur in Kraft treten, wenn auch die restlichen 10 Länder ihre Zustimmung gegeben haben.

Mit Ausnahme der Müllfahrzeuge, die in den Straßen ihre Morgenrunde drehen, herrscht Ruhe im Stadtzentrum. Langsam regen sich die Einwohner in ihren identischen, modernen Reihen-Apartments. Eine morgendliche Brise lässt die blauen Flaggen mit gelben Sternen flattern, die die Ufer des Liffey säumen. Das ist Dublin am 23. Mai, dem Morgen nach dem Halbfinale des Eurovision Song Contest, das in Belgrad stattfand. Lieferwagen fahren langsam durch den städtischen Einzugsbereich und teilen Stapel von Zeitungen an die neonbeleuchteten Tankstellen aus. "Katerstimmung bei Dustin nach dem Ausscheiden", lautet die Schlagzeile der Irish Times, nachdem der irische Repräsentant beim Eurovision Song Contest, eine Truthahn-Handpuppe, aus dem Wettbewerb geflogen ist.

©Editor_Tupp/flickrEinige loben den Truthahn dafür, den ESC als lächerlichen, unnützen Wettbewerb entlarvt zu haben, der allzu viel Geld darauf verschwendet, historische Animositäten zu bestätigen und Nationalstolz zur Schau zu tragen. Anderen ist es peinlich, dass wir uns so auf internationaler Bühne präsentiert und einen Wettbewerb ins Lächerliche gezogen haben, bei dem wir einst sehr erfolgreich waren. Viele sind teilnahmslos. Wen kümmert’s, denken sie, drücken die Schlummertaste an ihrem Wecker und drehen sich auf die andere Seite, um noch ein wenig weiter zu schlafen.

Die Stimme des Truthahns: Ja oder Nein?

Am 12. Juni steht dem Land eine bedeutendere Probe bevor. Das irische Volk wird seine Meinung zum Vertrag von Lissabon kundtun, einem Vertrag, der die rechtlichen Grundlagen novelliert, auf denen die EU gegründet wurde. Neben vielen weiteren Änderungen wird er den nationalen Parlamenten mehr Macht geben, das Abstimmungsverfahren im Ministerrat verändern, die Europäische Kommission verkleinern und einen Hohen Repräsentanten für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU einführen. Nachdem er im vergangenen Dezember von den Staatschefs der EU-Länder unterschrieben wurde, wird er nun in den 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert, zuletzt am 11. Juni von Estland und Finnland.

Viele der irischen Wähler sind Kinder der 1990er und des neuen Jahrtausends, Sprösslinge des als Keltischer Tiger sprichwörtlich gewordenen wirtschaftlichen Aufschwungs Irlands, die keine Erinnerung mehr an die Massenarbeitslosigkeit in den 1980ern und die Plackerei in den 1970ern haben. Selbstbewusst und frech wie sie sind, sind viele der Meinung, dass wir die EU nicht mehr brauchen. Das Prädikat des Aufsteigers kann nun an die neueren Mitgliedsstaaten im Osten weitergegeben werden, die den Eurovision Song Contest noch ernst nehmen müssen.

Andere meinen, dass man eben aus diesem Grund mit 'Ja' stimmen sollte. Die EU hat Irland zu dem gemacht, was es heute ist. Eine Ablehnung des Vertrags würde die Millionen an Strukturfonds verspotten, die in das Land geflossen sind. Von den tausenden Polen, die ins Land strömen, um die Wirtschaft weiter anzukurbeln, ganz zu schweigen. Den meisten aber, vor allem den Jungen, ist es schlichtweg egal: Sie lassen sich auch von so hippen Kampagnen wie rockthevote.ie und vulgären Plakaten der jungen Fraktion einer der größten Parteien des Landes, Fine Gael, nicht beeindrucken.

Dubliners

©Fred Armitage/flickrIn Dublin bereitet sich Grace O’Malley auf ihre Jahresabschlussprüfung am University College Dublin vor. "Ich verstehe nicht viel vom Vertrag von Lissabon, gesteht sie, und schaut von ihren Lehrbüchern auf. "Wenn wir mit 'Ja' stimmen, bekommt die EU mehr Macht und Irland weniger." Hinter ihr scheint die Sonne auf ein Plakat, das mit dem Slogan "Die neue EU wird dich nicht sehen, nicht hören und nicht mit dir sprechen - stimme mit 'Nein'" für die Ablehnung des Vertrags wirbt.

"Ich verstehe den Vertrag und werde mit 'Ja' stimmen", sagt Claire Davis lächelnd am anderen Ende der Stadt auf dem Weg zur Arbeit. "Irlands rapider Wandel in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat weltweit Anerkennung gefunden, für die Stabilisierung des Friedens sowie für die boomende, konkurrenzfähige Wirtschaft. Auf Irlands führende Köpfe in Politik, Bildung und Wirtschaft wartet die Aufgabe, die Politik und Tätigkeit der EU besser zu gestalten." Ihr Kollege Jeff Donhoe ist nicht so überzeugt. "Auch mit der Wirtschaftskraft des Keltischen Tigers im Rücken ist Irland noch immer ein kleiner Fisch im europäischen Teich. Sie sollten von den vielen Baukränen, die das Stadtbild prägen, nicht auf Irlands Einfluss auf die EU im Ganzen schließen."

Marie Laffey, die im zweiten Jahr an der Uni studiert, wirft gerade einen Blick auf ein Prospekt über den Vertrag von Lissabon, als ich sie frage, was Irland zur EU beizutragen habe. "Oh Gott, keine Ahnung - Kartoffeln?!" lacht sie. Sie gibt zu, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie dieses Prospekt lesen wird "gegen Null geht". Sie hat nicht vor, ihre Stimme abzugeben. "Ich fürchte, ich habe keine Ahnung davon", antwortet sie wahrheitsgemäß. Die meisten Leute antworten gar nicht. Man hat das Gefühl, dass sie irritiert sind und Angst haben, etwas Dummes zu sagen. Als Mitarbeiterin der Kommission in Brüssel ist die irische Hochschulabsolventin Anja Friedrich besser informiert als die meisten anderen. "Ich kann zur Abstimmung nicht nach Hause fliegen, aber ich werde die Augen offen halten, um zu sehen, was passiert. Mit Dustin beim Eurovision Song Contest konnten wir sicher sein, dass die anderen Länder ihn wegen schlechten Geschmacks ausbuhen würden. Hoffen wir, dass uns nicht erneut dasselbe passiert."

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Translated from Dustin to Lisbon: Eurovision turkeys and European treaties