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Die Stimmen der Kritik sind weiblich

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Islam in Europa

Von muslimischen Extremisten mit dem Tode bedroht, zur Aufgabe ihres Berufs gezwungen und zum Verlassen des Landes genötigt – Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Seyran Ates und Mina Ahadi haben ihre Kritik am Islam teuer bezahlt. Doch bei allem Respekt an ihrem mutigen Einsatz gibt es auch berechtige Kritik an ihren oft polemischen und pauschalisierenden Aussagen.

In der aktuellen Debatte um den Islam sind es auf Seiten der Kritiker vor allem Frauen wie Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Seyran Ates und Mina Ahadi, die mit ihren kontroversen, zuweilen polemischen Äußerungen den Ton bestimmen. Ihre harsche Kritik am islamischen Frauenbild und sozialen Missständen wie Ehrenmord, Zwangsheirat und Beschneidung hat ihnen auf der Rechten viel Zustimmung eingebracht. Ihr Lebensweg, der durch das Leiden unter, die Auflehnung gegen und schließlich die Befreiung vom Islam geprägt war, macht sie zu authentischen Zeugen für all jene, die im Islam schon immer eine regressive und repressive Religion gesehen haben.

Auch wenn sie aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen stammen, vereint sie die Erfahrung, aufgrund ihres Geschlechts Benachteiligung und Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. In Kindheit und Jugend erlebten sie den Islam vor allem als eine Religion, die von ihren Eltern und Verwandten, sowie der Gesellschaft im Allgemeinen als Rechtfertigung für die Unterdrückung der Frauen, für Beschneidung, Zwangsheirat und Ehrenmord benutzt wurde. Diese Erfahrung entfremdete sie immer mehr vom Islam und führte schließlich nicht nur zum Bruch mit der Familie, sondern auch zur Distanzierung von der Kultur, in der sie aufgewachsen waren.

Langsame Entfremdung von der eigenen Herkunft

Ayaan Hirsi Ali wurde 1969 in Somalia in eine religiöse Familie hineingeboren. Da der Vater als Regimegegner lange in Haft bzw. im Exil lebte, wurde sie vor allem von Mutter und Großmutter aufgezogen, die sie wie in diesem Teil Afrikas üblich beschneiden ließ. Ihre konservativ-religiös geprägte Familie erzog sie zur Unterordnung unter die Männer. In der islamischen Schule, die sie besuchte, wurde sie zur strengen Einhaltung der Gebote des Korans angehalten, die sie aber wegen der Ungleichbehandlung der Frauen immer wieder in Frage stellte, wie sie später berichtete. Als sie mit 22 Jahren einen ihr unbekannten Cousin in Kanada heiraten sollte, nutzte sie einen Zwischenhalt in Deutschland, um in die Niederlande zu fliehen, wo sie als Somali Asyl erhielt.

Wenn gleich weniger dramatisch litt auch Necla Kelek, die 1957 in Istanbul geboren wurde und als Elfjährige mit ihren Eltern nach Deutschland kam, unter dem restriktiven Rollenbild des Islam. Wie sie in ihrem autobiografischen Buch „Die fremde Braut“ (2005) schildert, entfremdete sie sich immer mehr von ihrer Familie, die sie als repressiv und einschränkend empfand. Als sie auf eigene Faust eine Ausbildung machte, wurde sie von ihrem Vater verstoßen. Sie studierte anschließend Soziologie und Volkswirtschaft in Hamburg und promovierte 2001 mit einer Studie über die Bedeutung des Islam unter türkischen Jugendlichen, die 2002 als „Islam im Alltag“ veröffentlicht wurde.

Soziale und politische Repression im Namen des Islam

Auch Seyran Ates stammt aus der Türkei. 1963 in Istanbul geboren kam sie als Tochter eines Gastarbeiters Ende der Sechziger Jahre nach Deutschland. In dem 2003 erschienenen Buch „Große Reise ins Feuer“ beschreibt sie, wie sie in Berlin unter beengten Verhältnissen aufwuchs. Ihr Vater und ihre Brüder verlangten, dass sie sich ihnen unterordne. Doch da die Eltern nur schlecht Deutsch sprachen, übernahm sie schon früh eine Vermittlerrolle gegenüber den deutschen Behörden. Trotz der geringen Unterstützung der Eltern machte sie ein gutes Abitur und schrieb sich an der Universität für Jura ein. Anders als Necla Kelek oder Ayaan Hirsi Ali brach sie aber nie ganz mit ihrer Familie oder ihrer Herkunft.

Mina Ahadi hat am deutlichsten die islamisch legitimierte und politisch legalisierte Unterdrückung der Frau erfahren. 1956 im Iran geboren, war sie zusammen mit ihrem Mann als Aktivistin der kommunistischen Partei am Kampf gegen den Schah beteiligt, wandte sich nach der Islamischen Revolution aber gegen das neue Regime. Aufgrund ihres politischen Aktivismus von der Universität ausgeschlossen war sie zur Arbeit in der Fabrik gezwungen. Als 1980 ihr Mann verhaftet und wenig später zusammen mit mehreren Parteigenossen hingerichtet wurde, schloss sie sich der kurdischen Untergrundbewegung an. 1990 war sie schließlich zur Flucht aus dem Iran gezwungen und ging nach Wien, später nach Köln.

Mutiger Einsatz für die Gleichberechtigung

Vier unterschiedliche Lebensläufe, die die Frauen am Ende zur Distanzierung vom Islam geführt haben. Jede auf ihre Art haben sie sich in ihrer neuen Heimat mit viel Mut gegen alle Formen religiös begründeter Diskriminierung und für die rechtliche Gleichstellung der Frau eingesetzt. So hat Mina Ahadi mehrere Kampagnen gegen die Todesstrafe, gegen Steinigung und Ehrenmorde organisiert. Vom Anspruch der muslimischen Verbände erbost, in ihrem Namen zu sprechen, hat sie im April 2007 den „Zentralrat der Ex-Muslime“ begründet. Dieser versteht sich als Vertretung all jener, die, wenngleich als Muslime geboren, sich nicht länger als solche verstehen.

Seyran Ates hat sich bereits während ihres Studiums in einem Frauenladen engagiert, der Mädchen und Frauen Beistand gegen Misshandlung bot. Als 1984 ein Mann eine Frau erschoss, die in dem Laden Zuflucht gesucht hatte, wurde auch sie lebensgefährlich verletzt. Dennoch setzte sie ihre Tätigkeit fort und vertritt seit 1997 als Anwältin türkische Frauen vor Gericht. Necla Kelek hat das Wort als Mittel im Kampf für die Gleichberechtigung gewählt. Mit ihrem Buch „Die fremde Braut“ (2005) thematisierte sie das Problem arrangierter Ehen. In dem Buch verband sie ihre eigene Erfahrung mit den Erkenntnissen ihrer Doktorarbeit, die sie aber neu deutete. Seitdem hat sie in weiteren Büchern scharfe Kritik am Islam geübt.

Gewaltsame Reaktion nach kontroversen Äußerungen

Auch Ayaan Hirsi Ali hat ihre Erfahrung als Gerichtsübersetzerin und ihre Erkenntnisse als Mitarbeiterin einer sozialdemokratischen Stiftung 2002 in einem Buch verarbeitet. „Die Söhnefabrik“, in dem sie mit dem islamischen Frauenbild abrechnet, fand große öffentliche Beachtung. Sie wechselte von den Sozialdemokraten zu der rechtsliberalen VVD, da diese ihrer Kritik am Islam ein besseres Forum bot. 2003 für die VVD ins Parlament gewählt, machte sie durch ihre harsche Kritik an der ihrer Meinung nach verfehlten Integrationspolitik von sich reden. Diese habe aus einer falsch verstandenen Toleranz die Abgrenzung der Migranten befördert, argumentierte sie.

Nicht nur Ayaan Hirsi Ali sondern auch die anderen Frauen haben für ihren Einsatz Anerkennung erhalten, aber auch viel Kritik einstecken müssen. Ihre kontroversen und oft polemischen Äußerungen haben Einwände von Forschern, Proteste von Muslimen und auch Anfeindungen von Extremisten hervorgerufen. Die Bedrohung hat sie teilweise gezwungen, Personenschutz zu beantragen und ihre Wohnung aufzugeben. Seyran Ates hat, nachdem sie vom Ehemann einer Mandantin 2006 zusammengeschlagen worden war, vorübergehend sogar ihren Job aufgeben müssen, während Ayaan Hirsi Ali in die Vereinigten Staaten ging, da sie in den Niederlanden um ihr Leben fürchten musste.

Mit der Kritik über das Ziel hinaus?

Die Niederländerin stand besonders in der Kritik für ihre Aussage, der Prophet Mohammed sei „gemessen an unseren westlichen Maßstäben ein perverser Mann. Ein Tyrann.“ Sie spielte damit auf seine Ehe mit Aischa an, die zum Zeitpunkt des Vollzugs der Hochzeit angeblich erst neun Jahre alt war. Ihr gemeinsamer Film mit Theo van Gogh „Submission“, in dem vier Musliminnen von den erlittenen Misshandlungen berichten, führte zu massiven Anfeindungen und war letztlich der Grund für die Ermordung des Filmemachers durch einen jungen muslimischen Extremisten im November 2004. Im September 2006 ging sie zum neokonservativen American Enterprise Institut nach Washington.

Necla Kelek löste mit ihrem Buch „Die fremde Braut“ ebenfalls eine heftige Debatte aus. In einem offenen Brief, der im Februar 2006 in „Die Zeit“ veröffentlicht wurde, warfen ihr 60 Migrationsforscher vor, die differenzierten Ergebnisse ihrer Dissertation verfälscht und verdreht zu haben. In der Studie war sie noch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Islam von jungen Migranten der eigenen Lebenssituation entsprechend ausgelegt werde, während sie in ihrem Buch zu dem Schluss kommt, dass der Islam das größte Hindernis für die Integration der Muslime ist. Sie entgegnete darauf ihrerseits mit dem Vorwurf an die Forscher, über Jahrzehnte die Auseinandersetzung mit den realen Problemen versäumt zu haben.

Nicht immer ist der Islam die Ursache

Allgemein richtete sich die Kritik an Ayaan Hirsi Ali, Mina Ahadi und Necla Kelek dagegen, den Islam pauschal für Missstände verantwortlich zu machen, die sich weniger aus religiösen Geboten als aus kulturellen Traditionen erklären. Tatsächlich lässt sich argumentieren, dass sich Ehrenmorde und Zwangsehen in einem patriarchalischen Familienbild begründen, das keineswegs auf den Islam begrenzt ist. Ähnliche Vorstellungen von Männlichkeit und Familienehre finden sich auch im christlichen Lateinamerika und arrangierte Ehen sind im hinduistischen Indien noch immer die Regel. Ähnliches gilt für die Praxis der Beschneidung, die in Afrika von Christen und Muslimen gleichermaßen praktiziert wird.

Zudem scheinen Mina Ahadi, Ayaan Hirsi Ali und auch Necla Kelek der Argumentation der Islamisten aufgesessen zu sein, wenn sie den Islam als ein starres Glaubenssystem begreifen, das nur eine Auslegung zulässt und keine Veränderung erlaubt. Dies ist nicht nur mit Blick auf die nach Land und Epoche sehr unterschiedliche Auslegung des Islam völliger Unsinn, sondern auch deshalb problematisch, weil es zu der Forderung führt, der Islam müsse als eine mit der westlichen Moderne unvereinbare Religion überwunden werden. Anstatt innerhalb des Islam die sehr wohl vorhandenen moderaten Kräfte zu stärken, führt dies zu einer grundsätzlichen Konfrontation mit dem Islam. Was eigentlich zu vermeiden wäre.