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Die Gesundheit - in Europa auf der Intensivstation?

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Default profile picture marion cros

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Default profile picture ulf buermeyer

Die Gesundheitssysteme in Europa sitzen zwischen explodierenden Behandlungskosten und Sparmaßnahmen in der Klemme. Hat die EU in dieser Lage noch die Mittel, den östlichen Nachbarn an der Schwelle zum Beitritt zu helfen?

Während die Gesellschaften Westeuropas sich guter Gesundheit erfreuen und zusehen, wie die Lebenserwartung der Menschen steigt und steigt, hat doch jedes Gesundheitssystem seine inneren und äußeren Schwachstellen. Welche Diagnose kann man den europäischen Gesundheitssystemen stellen angesichts der Globalisierung und der Osterweiterung? Sind die Gesundheitssysteme nicht dabei, liberalisiert zu werden? Und gibt es einen Weg, sie innerhalb Europas zu harmonisieren?

Die Kosten des Gesundheitswesens in den Ländern Europas steigen unaufhörlich. In Deutschland und der Schweiz nähern sie sich bereits einem Anteil vom 11% am Bruttoinlandsprodukt, was beiden Ländern nach den USA weltweit den zweiten Platz sichert (1). Die Kostenexplosion ist vor allem mit dem medizinischen Fortschritt und neuen, kostenintensiven Behandlungsmethoden zu erklären. Die Menschen stellen auch immer höhere Ansprüche und nehmen mehr und mehr medizinische Leistungen in Anspruch. Weil die Menschen älter und älter werden, drohen die Kosten weiter zu steigen. Schließlich zeichnen sich die medizinischen Berufe durch hochqualifizierte Mitarbeiter aus, die entsprechend gehobene Einkommen beziehen.

Leistungskriterien

Welche Maßnahmen ergreifen nun die Regierungen, um die Ausgaben für das Gesundheitswesen unter Kontrolle zu bekommen? Die natürlichste Reaktion ist diejenige, Kosten zu sparen, indem in den Krankenhäusern Personal und Bettenkapazitäten abgebaut werden. Zweitens werden die Ausgaben der Hospitäler gedeckelt. Schließlich soll die Privatisierung eines Teils der Gesundheitsfürsorge es den Wohlhabenderen erlauben, sich privat zusätzlich abzusichern, so dass die Erstattung der Gesundheitskosten durch die gesetzlichen Krankenkassen weniger in Anspruch genommen wird.

Auf europäischem Niveau gehört die Gesundheit nicht zu den gemeinsam wahrgenommenen Kompetenzen der Mitgliedstaaten. Es gibt vor allem eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Prävention. Dennoch führen Globalisierung und Sparzwänge (z.B. aufgrund des Stabilitätspakts) dazu, dass sich die europäischen Gesundheitssysteme in dieselbe Richtung entwickeln, nämlich hin zu mehr Markt und Konkurrenz zwischen den Krankenkassen. Allerdings muss man die Liberalisierung der Gesundheitssysteme fein austarieren, weil die Gesundheit stets vorgeht und die Ärzte noch weit davon entfernt sind, sich als Gesundheitsunternehmen zu verstehen: Sie finden sich eher in einem freien Markt wieder, der vom Staat begrenzt wird.

Im Zuge der europäischen Einigung wirft die Gesundheit andere Fragen auf: Die Länder Zentral- und Osteuropas haben seit dem "System Semaschko" (2) enorme Fortschritte in Sachen Gesundheit gemacht und messen sich selbst am Kriterium der Leistungsfähigkeit, seit sie die Marktwirtschaft eingeführt haben. Dennoch gilt auch heute noch das klassische Prinzip der Abhängigkeit der ehemals sozialistischen Länder auf ihrem "gemeinsamen Weg" (3): Es ist schwierig, aus dem "System Semaschko" auszusteigen, nachdem es diese Länder 50 Jahre lang formte. Bürokratisierung, Korruption, Mafia und die Schwäche der sozialen Akteure können Reformen im Gesundheitswesen erschweren. Die Kindersterblichkeit (Maß für die Qualität der Gesundheitsfürsorge in einem Land) ist in einigen dieser Länder immer noch vergleichsweise hoch, die Gehälter der im Gesundheitswesen Tätigen und der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt ist niedrig verglichen mit den 15 Mitgliedstaaten Europas. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie es denn möglich sein soll, die Gesundheitssysteme zu reformieren, wenn sich der Staat in einigen dieser Länder aus der Verantwortung zurückzieht?

Verarmung der Krankenkassen

Angesichts der Reformen im Gesundheitswesen der Staaten Mittel- und Osteuropas zeichnet sich ein neues „policy-making“ ab. Die EU beteiligt sich daran mit europäischen Programmen, vor allem dem „Phare“ (4), beeinflußt aber die Politik in den Ländern gewöhnlich weniger als andere internationale Organisationen. Eine von ihnen, die Weltbank, hat anfangs versucht, ein System von staatlichen Förderungen einzurichten, um den Zugang zu medizinischen Leistungen zu erleichtern. Es gibt daher nun eine Gesundheitsbeihilfe, die den ärmsten Schichten der Gesellschaft gezahlt wird, während die mittleren Klassen und die Elite mehr Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Dieses sicherlich sehr einseitige Schema droht langfristig zu einer Verarmung der Krankenkassen zu führen, weil nur die Ärmsten davon profitieren: Die Mittelschicht aber, die durch ihre Steuern erst die Finanzierung sichert, wird über kurz oder lang nicht mehr dazu beitragen wollen, weil sie selbst gar nicht betroffen ist.

Welche Alternativen gibt es aber zu einem solchen eher liberalen Instrument, die die EU den zukünftigen Mitgliedern vorschlagen könnte, um ihre Gesundheitssysteme zu verbessern? Die größte Schwierigkeit resultiert in der Tat aus dem fehlenden Zusammenhang zwischen der Gesundheitspolitik der 15 Mitglieder. Europa will sich gegenwärtig auf diesen Gebiet nicht weiter engagieren. Daher gibt es auch nur wenig Federn, mit denen es sich schmücken könnte.

(1) « Système de santé : la rationalité économique à l’ordre du jour », E. Docteur and H.Oxley, Direction de l’emploi, du travail et des affaires sociales, OCDE, 19 septembre 2003.

(2) das universelle sowjetische Gesundheitssystem, das aus dem Staatshaushalt finanziert wurde. Vgl auch das Interview in diesem Dossier.

(3) PALIER.B, BONOLI.G, Phénomène de path dependency et réforme des systèmes de protection social. Revues française de sciences politiques, vol.49, n°3, juin 1999.

(4) Europäisches Programm zur technischen Zusammenarbeit mit dem Ländern Mittel- und Osteuropas, gegründet 1989.

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Translated from L’Europe de la santé : un mythe ?