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Der französische EU-Ratsvorsitz: Furia Francese

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JSeb 2.0

Pariser Stadtgeflüster

Am 1. Juli 2008 löst Frankreich Slowenien im EU-Ratsvorsitz ab und übernimmt damit eine der letzten turnusmäßigen EU-Präsidentschaften. Der große Anlass wirft seine Schatten voraus: Die französische Politik hat ein Budget von 200 Millionen Euro veranschlagt und ein Programm geplant, das den Rahmen zu sprengen scheint.

Bereits im August hat Nicolas Sarkozy den in Paris versammelten Botschaftern einige Pläne hinsichtlich der Ratspräsidentschaft vorgestellt und seine Prioritäten klar gemacht. Schon zu diesem Zeitpunkt war ersichtlich, dass Frankreich sich möglicherweise etwas zu viel vorgenommen hat. Und seitdem ist einiges hinzugekommen ...

Diese vier Punkte stehen ganz oben auf der Liste:

Immigrationspolitik: Die Umsetzung einer gemeinsamen Immigrationspolitik der EU-Staaten wird weiterverfolgt. Die Vorstellungen der Franzosen beruhen auf drei Prinzipien: 1) Ein überbordendes Regelwerk wird abgelehnt, 2) die Asylpolitik in der EU muss harmonisiert und 3) Verhandlungen über Rückübernameabkommen müssen geführt werden. Außerdem möchte Frankreich die Zusammenarbeit mit den südlichen Ländern verbessern und so zu einer kollektiven Lösung der bestehenden Probleme beitragen.

Europäische Verteidigungspolitik – ein hochsensibles Thema. Sarkozy will die ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) voranbringen – die er sehr wohl als kompatibel mit der NATO erachtet – und fordert eine Erhöhung des entsprechenden EU-Etats.

Umweltpolitik / Kampf gegen den Klimawandel: Nach dem viel versprechenden Umweltgipfel im Oktober 2007 (frz: „Grenelle de l’Environnement“) wird sich Frankreich weiterhin auf europäischer Ebene um die Umsetzung der formulieren Ziele bemühen – ein gesamteuropäischer „Grenelle“ wird in Betracht gezogen. Des Weiteren werden unter Frankreichs Vorsitz auch Verhandlungen bezüglich des Post-Kyoto-Prozesses geführt.

Energiepolitik: In diesem Bereich, der direkt mit dem Kampf gegen den Klimawandel zusammenhängt, verfolgt Frankreich vor allem zwei Ziele: die Sicherung der europäischen Energievorräte und eine Förderung der Atompolitik. Weltweit nimmt Frankreich den zweiten Platz bei der Erzeugung von Elektrizität durch Kernenergie ein und wird seinen ganzen Einfluss einsetzen, um den europäischen Partnern die Atomenergie als Energiequelle der Zukunft schmackhaft zu machen.

Außerdem sind noch einige andere Themen hinzugekommen, u. a.

eine Reform der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik), die aufgrund des Preisanstiegs bei Lebensmitteln nötig geworden ist

die Union der Mittelmeerländer, ein Projekt, das Sarkozy bereits kurz nach seiner Wahl angekündigt hat und das viele als einen Versuch interpretieren, einen Beitritt der Türkei zur EU auf elegante Weise abzuwenden

die Wirtschaftspolitik der EU, insbesondere die gemeinsame Währung und die dafür zuständige Behörde, die Europäische Zentralbank

In Anbetracht dieses Programms mag man sich fragen, wie viele dieser ehrgeizigen Pläne überhaupt umgesetzt werden können. Eine Ratspräsidentschaft dauert immerhin nur sechs Monate, und bei jeder Zusammenkunft kann nur eine begrenzte Anzahl an Tagesordnungspunkten behandelt werden. Als Vorsitz kann Frankreich außerdem nur Impulse geben, ist jedoch nicht befugt, im Alleingang Entscheidungen zu fällen. Und der Vorsitz endet bereits Ende 2008, ab Januar 2009 ist dann die Tschechische Republik an der Reihe.

Der französische EU-Ratsvorsitz vor dem Hintergrund internationaler Ereignisse

Auf internationaler Ebene ist während der EU-Ratspräsidentschaft der Franzosen einiges geboten: die Olympischen Spiele in Peking, der EU-China-Gipfel, die Wahlen in den Vereinigten Staaten, die ersten Treffen mit dem neuen russischen Präsidenten, der im März gewählt wird, und Verhandlungen über eine mögliche Unabhängigkeit des Kosovo.

Und, nicht zu vergessen: Die im Vertrag von Lissabon vorgesehene Reform der Institutionen wird unter dem Ratsvorsitz Frankreichs in Angriff genommen. Angesichts der Tatsache, dass das Europäische Parlament wegen der Wahl seine legislative Arbeit zwei Monate nach Abschluss der französischen Ratspräsidentschaft einstellt, erhält dies eine besondere Brisanz. Zu den Hauptzielen, die bis zum Ende der Amtsperiode erreicht werden sollen, gehören eine stabile Führung der EU, eine verbesserte Koordinierung zwischen der Kommission und dem Hohen Vertreter für die GASP, die Umsetzung einer gemeinsamen Außenpolitik, eine Reduzierung der Anzahl der Kommissare und eine Stärkung der nationalen Parlamente.

Um eine kohärente Fortführung zu gewährleisten, muss Frankreich sein Programm mit seinem Nachfolger im EU-Ratsvorsitz, der Tschechischen Republik, koordinieren. Ein Detail könnte dabei zu Problemen führen: Während die Franzosen in ihrem Präsidentschafts-Motto ein „sicheres Europa“ beschwören, möchten die Tschechen ihre Präsidentschaft unter das Motto „Europa ohne Grenzen“ stellen ... ein Ideen-Clash?

Jean-Sébastien Lefebvre

Übersetzung: Ann-Marie Orf

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