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Das Recht, über eine Frau zu verfügen

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KulturGesellschaft

Frauenrechte werden im Kaukasus oft mit Füßen getreten – Erkundungen in der georgischen Hauptstadt Tiflis.

„Erst war ich die Sklavin meines Mannes, jetzt bin ich meine eigene“, entfährt es Tamuna Gachokidse, deren Augen müde zu Boden blicken. Freude und Trauer kann sie schon lange nicht mehr ausdrücken. Was in ihr vorgeht, kann sie nicht in Worte fassen. Irgendwann hat sie aufgehört zu weinen, sich abgewöhnt Schmerz zu empfinden. Achtzehn lange Jahre ist die Georgierin von ihrem Mann geschlagen, misshandelt, eingesperrt und vergewaltigt worden.

Scheidung ist Schande

Wie der 35jährigen gehe es mehr als 50 Prozent der verheirateten Frauen in der Kaukasusrepublik Georgien, sagt Lela Gaprindashvili, Soziologin an der Universität Tiflis: „Sie sind Opfer von Gewalt in ihren Familien. Gründe dafür gibt es viele. Die häufigsten sind Alkohol, Arbeitslosigkeit, Armut und traditionelle Geschlechterrollen.“

An die Öffentlichkeit hat sich Tamuna Gachokidse, die sich selbst als „gebrochene Frau“ bezeichnet, nie getraut. Bis ihr Mann sie eines Abends so zurichtete, dass sie mit gebrochenen Rippen und Schnittwunden ins Krankenhaus gebracht werden musste. Seit einem Jahr ist die Mutter zweier Kinder geschieden, weiß nicht wer sie ist und findet keine Arbeit. Die wenigen Dinge, die sie nach der Trennung behalten durfte, hat sie verkauft, um zu überleben. Scheidung ist Schande, während georgische Männer ohne Ehrverlust ihre Frauen verlassen und wieder heiraten können.

Vergewaltigung gilt als Kavaliersdelikt

„Gesetze, die die weibliche Bevölkerung schützen, gibt es genügend. Aber sie werden nicht durchgesetzt“, kritisiert Eliso Amirejibi. Auf ihrer Visitenkarte steht „Regionalleiterin der Vereinigung gegen Gewalt an Frauen in Georgien“, Bezirk Tiflis. Das klingt nach einem Ausmaß von Macht, das sie nicht hat und worüber nur ihr Auftreten hinwegtäuschen kann.

„Die Polizei greift nicht durch, wenn Frauen Gewalt angetan wird“, fährt die 40jährige Anwältin fort. „Es gehört zu unserer Tradition sich nicht in die privaten Angelegenheiten von Familien einzumischen. Also meldet es auch niemand den Behörden, wenn Frauen in ihren Rechten diskriminiert werden.“ Vergewaltigung gelte als Kavaliersdelikt und in der Ehe habe ein Mann, nach Ansicht der meisten Georgier, das Recht über seine Frau zu verfügen.

Keine Hilfe vom Staat

Das Hauptbüro der Vereinigung liegt in einer alten Sporthalle. Von den feuchten Wänden bröckelt der Putz. Das Linoleum löst sich vom Boden und die Fassade zeigt Risse. Wie überall in der Stadt, hat auch hier das Erdbeben vor drei Jahren seine Spuren hinterlassen. Für die Renovierung gibt es kein Geld. Und weder Stadt noch Staat unterstützen das Projekt.

„Vom Staat haben Frauen hierzulande nicht viel zu erwarten“, sagt Eliso Amerijibi. Väter sind für ihre unehelichen Kinder nicht unterhaltspflichtig. Und auch im Falle einer Scheidung kann eine Frau ihrem Mann gegenüber keinerlei Ansprüche geltend machen.

Nona Aldamova-Dshapharidse ist das, was man unter einer Karrierefrau versteht. Sie verdient das Geld für die Kinder und ihren Mann. Die 39jährige Gynäkologin stammt aus einer Intellektuellen-Familie. Geboren im Pankisi-Tal, vom muslimischen zum orthodoxen Glauben konvertiert, ist sie früh nach Tiflis gegangen, um dort zu studieren, trotz Mutterschaft.

Vor fünf Jahren hat sie eine Hilfsorganisation für Frauen gegründet. „Nach dem Zusammenbruch der UdSSR hat sich die wirtschaftliche Lage hier in Georgien verschlechtert. Arbeitsplätze gingen verloren und das hatte verstärkt Gewalt in von Armut betroffenen Familien zur Folge“, sagt die 39jährige. „Viele Männer sind nicht mehr in der Lage, den Unterhalt für Kind und Frau zu verdienen. Die Enttäuschung und Frustration darüber bauen sie mit Schlägen ab.“

Hoffen auf Europa

Unterstützung aus dem Ausland gibt es für die Frauenrechtler kaum. Einzig die Amerikaner würden das Engagement unterstützen. „Im Ausland glauben viele noch immer an die offizielle kommunistische Propaganda, die die emanzipierte Frau als Teil einer neuen, von der kapitalistischen Ausbeutung befreiten Gesellschaft feierte“, kritisieren Aldamova-Dsphapharidse und Amirejibi unabhängig voneinander.

Hilfe aus dem europäischen Ausland würde sich auch Eliso Amirejibi wünschen. „Wir betreiben das einzige Frauenhaus in Georgien. Die Unterhaltskosten sind hoch“, erklärt sie. Die Stufen sind blanker Beton. Tapeten gibt es hier schon lange nicht mehr. Vom Geländer löst sich die Farbe in Splittern. Im Büro klingelt das Notruftelefon. Eine schluchzende Frauenstimme wird hörbar. Amirejibi verlässt den Raum und geht in eines der Zimmer nebenan.

Auf der durchgelegenen Matratze hockt Lela, die ihren Nachnamen aus Angst nicht preisgeben möchte. Sie ist sechzehn, eine von sieben Frauen, die derzeit im Heim leben. Ihre Geschichte ist tragisch. Als uneheliches Kind von der eigenen Mutter verachtet, hatte das Mädchen immer einen schweren Stand in der Familie. Großgezogen wurde sie deshalb von ihrer Tante, erst mit zwölf durfte sie bei ihrer Mutter leben.

In wenigen Wochen wird sie hier raus müssen. Maximal drei Monate kann jede Hilfsbedürftige im Heim bleiben, dann muss sie gehen. Zurück zu ihrer Familie kann sie nicht. Heimlich hatte sie sich bis vor vier Monaten mit ihrem Freund getroffen und war dabei schwanger geworden. Als der Gynäkologe feststellte, dass es für eine Abtreibung schon zu spät war, ließ die Mutter das Mädchen ohne ein Wort und Geld in der Stadt zurück. Tage hatte sie in einer Kirche im Zentrum von Tiflis, der georgischen Landeshauptstadt, verbracht, bis die Polizei durch den Priester auf sie aufmerksam wurde und zu Eliso Amirejibi brachte. Im Zimmer hängen Poster amerikanischer Filmstars. Die triste Wand über ihrem Bett zieren bunte Sternchen. Lela ist kein Kind mehr. Sie hat aufgehört zu träumen.

Die Autorin ist Mitglied des Korrespondenten-Netzes n-ost