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Château rouge: Afrika liegt in Paris

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Gesellschaft

Ein eisiger Wind bläst durch die Straßen des Pariser Viertels Château Rouge, das wir heute auf der Suche nach einer Geschichte erkunden. Das ungemütliche Wetter lädt zu einem ausgiebigen Winterschlaf ein, oder wenigstens zu einer dampfenden Tasse Tee und einem frischen Croissant. Rund um die Métrostation Château Rouge geht das Leben dennoch seinen gewohnt geschäftigen Gang.

Aus den Geschäften, die sich auf den Verkauf von CDs und DVDs aus der Traumfabrik „Nollywood“ spezialisiert haben, klingt Musik: unter arabische Klänge mischt sich mal Hip Hop, mal Mbalax. Im Vorübergehen erhaschen wir Gesprächsfetzen in Arabisch, Wolof, Suaheli oder Bantu. Gerichte wie Maffe oder Yassa Poulet verströmen einen verheißungsvollen Duft und lassen unsere Mägen knurren. Zahlreiche „Boutiques africaines“ bieten Gemüse wie Okra oder Nyame, und exotische Früchte wie Mango oder Ditax feil.

Doch die Gegend ist nicht nur für den farbenfrohen afrikanischen Markt in der Rue Dejean bekannt: Fällt der Name Château Rouge, assoziieren die meisten Pariser damit Verdacht. Unsicherheit. Angst. Denn das Viertel hat seit Ende September 2012 einen zweifelhaften Ruf als Paris' erste "Zone de sécurité prioritaire" (Prioritäre Sicherheitszone): Mit einem größeren Polizeiaufgebot und sozialen Aktionen sollen Kriminalität, Drogenhandel und Prostitution, die seit Jahren für Probleme sorgen, eingedämmt werden. Touristen verirren sich nur selten hierher - obwohl Château Rouge nur einen Steinwurf von den Sehenswürdigkeiten Montmartres und der Kathedrale Sacre Coeur entfernt ist. Dabei gibt es hier jede Menge zu entdecken.

Als wir den Salon Afrikiko betreten, lässt uns das helle Neonlicht blinzeln. Die neugierigen Blicke der jungen Männer, die geduldig darauf warten, bis sie mit dem Haareschneiden an der Reihe sind, streifen uns. Ein Friseur kommt auf uns zu, beäugt unsere Köpfe kritisch und bricht dann in schallendes Lachen aus. Nein, uns würde er die Haare bestimmt nicht schneiden, versichert Victor Owusu mit einem breiten Lächeln. Er ist in Accra, der Hauptstadt Ghanas, aufgewachsen und vor 16 Jahren nach Paris gekommen. „Jetzt bin ich Franzose. Ich habe mich einbürgern lassen und habe einen französischen Pass“, erklärt er auf perfektem Französisch und wechselt wieder ins Englische. 

Seit etwa 3 Jahren arbeitet er im Afrikiko, das von einem Nigerianer betrieben wird. „Früher gab es hier in Château Rouge nicht viele Friseure. Wenn man heute durch dieses Viertel spaziert, findet man überall Black Salons.“ Afrikiko hat sich auf Afrohaar spezialisiert. Auch deshalb seien die Unterschiede zwischen seinem Berufsalltag in Ghana und in Frankreich klein, erzählt uns Victor Owusu. Nur das Material sei mitunter anders: „Als ich in Frankreich angekommen bin, haben die Friseure in Ghana noch keine Elektrorasierer genommen, um den Kopf zu scheren, sondern Messer. Heute werden auch überall in Afrika elektrische Rasierapparate benutzt.“

Paris, beliebtestes Exil der afrikanischen Diaspora

Wie Victor Owusu findet man in Paris viele Afrikaner, die nach Europa immigriert sind; die meisten aus den ehemaligen französischen Kolonien. Laut einer Volkszählung aus dem Jahr 2010 kommen 41% aller ausländischen Studierenden in Frankreich aus Afrika. Mehr als die Hälfte davon sind aus den Maghreb-Staaten, davon wiederum fast 80% aus Marokko und Algerien.

Auch Leopold Sédar Senghor verbrachte seine Studienzeit in Paris. Senghor schuf das Konzept der „Négritude“, das kulturelle Werte der afrikanischen Welt in der Absicht hervorhebt, eine größere Anerkennung auf dem von rassistischen Ideologien brodelnden Europäischen Kontinent zu erlangen. Er gilt als einer der berühmtesten afrikanischen Dichter und Philosophen des 20. Jahrhunderts und war der erste Präsident (1960-1980) des unabhängigen Senegal. Seine Erfahrungen und Gefühle in einem Land fern seiner Heimat, in dem er als Afrikaner nicht als Teil der Gesellschaft akzeptiert wurde, verarbeitete er in einigen Gedichten. Auch andere Künstler ließen sich von Paris als Metapher für Exil inspirieren. Der in der Elfenbeinküste geborene Reggeamusiker und Aktivist Tiken Jah Fakoli besingt in Africain à Paris die Situation der afrikanischen Bevölkerung in der Hauptstadt Frankreichs. Der Song ist eine Interpretation von Stings berühmtem Englishman in New York (1987).

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Design: Dakar - Paris

Sie sind Farbtupfen in den grauen Straßen: die bunten Wax-Stoffe mit den typischen Drucken und Motiven der Länder südlich der Sahara in den Schaufensterauslagen von Château Rouge. Um die Weiterverarbeitung der Stoffe kümmern sich die Schneidereien, die man im 18. Arrondissement von Paris wie Sand am Meer findet. Allein in Château Rouge gebe es um die 30 „Ateliers de Couture“, schätzt der Stylist Tidiane Gaye. „In meiner Familie gab es schon immer Schneider. Schon meine Urgroßeltern haben diesen Beruf ausgeübt. Mein Vater ist 1971 aus dem Senegal nach Frankreich emigriert und hat eine kleine Schneiderei in Paris eröffnet. Später kam ein zweiter Laden hinzu – der, in dem wir jetzt stehen.“ Mit einer ausschweifenden Geste deutet der 28-Jährige auf die mit pinkem Samt bespannten Wände, die bis an die Decke mit bunten Modellen behängt sind, auf den Arbeitstisch, wo normalerweise die Nähmaschine surrt und auf die Stapel von Mode-Katalogen, aus denen die Kundschaft ihre Lieblingsschnitte aussuchen kann.

„Auf Hochzeiten oder zu anderen speziellen Anlässen trage ich senegalesische Kleidung“, erzählt Tidiane Gaye, der Jeans und einen grauer Kapuzenpulli anhat. „In Paris trifft man Afrikaner, die viel Wert auf die ihre Kultur legen und oft traditionelle Kleidung tragen. Andere wiederum sind in Frankreich aufgewachsen und haben einen anderen Kleidungsstil angenommen. Das hängt also immer von der Person und ihrem Alter ab.“ Aber auch Franzosen schauten ab und an vorbei im Atelier Gaye vorbei, um sich einen senegalesischen Boubou nähen zu lassen.

Ob es denn dasselbe sei, in Paris oder in Dakar zu arbeiten, möchten wir wissen. „Irgendwie schon“, stimmt Tidiane nach kurzem Zögern zu und rückt sein Käppi zurecht. „Die Stylisten, die im Viertel arbeiten, kommen nicht nur aus dem Senegal, sondern auch aus der Elfenbeinküste oder aus Mali. Fast alle haben ihre Ausbildung in Afrika gemacht.“ Er selbst ist in Frankreich geboren und aufgewachsen, und fest in der Pariser Afrocommunity verwurzelt. Regelmäßige Reisen in den Senegal erlauben ihm, ein enges Verhältnis zu seiner Familie in Dakar zu pflegen – und die neuesten Trends aus der Heimat mit nach Europa zu bringen.

„Mon Frère, willst du eine Sonnenbrille kaufen? Gut für die Sicht!“ Einer der unzähligen fliegenden Händler, dem wir auf dem Weg zurück zur U-Bahn begegnen, spielt mit dieser Metapher... und wieso sein Angebot ausschlagen? In Château Rouge ist es ein Erlebnis, seine gewohnte Sicht auf die Dinge abzulegen, Vorurteile über Bord zu werfen und die Wirklichkeit auch mal durch eine andere Brille zu betrachten.

Autoren:       Sebastián Ruiz Cabrera (Mitgründer von wiriko/lest Sebastiáns Artikel (auf Spanisch))

                       und Kathrin Faltermeier

Videocredit: (cc)kenjata/Youtube