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CETA: Scheitern in fünf Phasen

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BrüsselPolitik

[KOMMENTAR] Belgien hatte bis zum heutigen Montag Zeit, um seine Zustimmung zu CETA zu geben. Der belgische Premier hat jedoch vor wenigen Stunden erklärt, sein Land sei aktuell nicht in der Lage, grünes Licht für das Handelsabkommen zwischen EU und Kanada zu geben. Wie es zum Scheitern der Verhandlungen kam - in fünf Punkten

1) CE…Was?

CETA  nennt sich das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA). Alles begann im Jahr 2009, als der Glaube entstand, dass die Abschaffung von Handelsgrenzen zwischen der EU und Kanada 70 Milliarden Euro einbringen könnte. Politiker, Ökonomen und Experten von beiden Seiten des Atlantiks waren überzeugt, dass dies der beste Weg zur Ankurbelung des bilateralen Handels sei.

Mehr als fünf Jahre später war das Abkommen in einem 1600-Seiten-Dokument verewigt, damit Güter ohne Einschränkungen und höhere Preise zwischen Great White North und Altem Kontinent gekauft und verkauft werden können. Das Handelsabkommen bedeutet zum Beispiel, dass kanadischer Ahornsirup nun barrierefrei auf dem europäischen Markt verkauft werden kann, das gleiche gilt umgekehrt für holländischen Gouda in Kanada. Hinzu kommt ein neues Konzept - die sogenannte 'regulatorische Kooperation' - in deren Rahmen Rechtsexperten die legalen Rahmen schaffen, welche Sicherheitsbedingungen ein Fahrradreifen aufzuweisen hat oder mit welchem Verfallsdatum Birnen im Supermarkt zu versehen sind. Eine super Sache für Banker, Weinhersteller, Ingenieure und Landwirte. Zumindest auf den ersten Blick.

2) Warum CETA zum Politikum wurde

Der ganze Wirbel um das CETA-Abkommen kommt zunächst einmal davon, dass es mehr als fünf lange Jahre hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde. Zu Beginn erhielt und verursachte CETA nur sehr wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Das Abkommen wurde deshalb zügig und mit begrenzter Information der Öffentlichkeit ausgehandelt. Auf den ersten Blick sah CETA wie jedes andere Handelsabkommen aus, das den freien Handel ermöglicht und nur positive Auswirkungen auf den Alltag der Bevölkerung hat. Fünf Jahre später wackelt der Deal jedoch gewaltig. Zahlreiche Verbände, Bauern und die Zivilgesellschaft kritisieren die transatlantischen Handelsabkommen, die zu geringeren Gehältern und weniger Umweltschutz führen könnten. Die Europäische Kommission beantragte zwar in der Vergangenheit eine Studie zur Nachhaltigkeitsprüfung und suchte den Dialog mit der Zivilgesellschaft, um verschiedene Meinungen einzuholen. Sie tat dies aber ohne die Dokumente mit der Öffentlichkeit zu teilen. Ob das nun pure Augenwischerei war, kommt natürlich darauf an, wen man fragt. 

3) Was schief ging

So weit so gut. Die EU verließ sich auf ihre alleinige Zuständigkeit und verhandelte in aller Ruhe eines der wichtigsten Handelsabkommen der EU. 2009 noch waren so ziemlich alle EU-Mitglieder einverstanden damit, dass es Brüssels Job sei, die Freihandelsabkommen zu verhandeln. Doch seit 2013 sorgte der große Bruder von CETA, die Transatlantische Handels-und Investitions-Partnerschaft, TTIP, in ganz Europa für Aufregung. Die Menschen wurden misstrauisch und fragten sich, ob die EU-Kommission vielleicht doch nicht das bestausgestattete Gremium am ersten Verhandlungstisch sei? Zudem schienen die Verhandler auszublenden, was das Handelsabkommen für die Bürger tatsächlich bedeuten würde. 

Der Protest wurde deutlich größer, als Volksbewegungen die Transparenz der TTIP-Verhandlungen und ihre Auswirkungen auf den Verbraucherschutz, das Gesundheitswesen und den Umweltschutz in Frage stellten. Der Druck brachte die Europäische Kommission dazu, das Verfahren zu öffnen und in Leseräumen in ganz Europa den Zugang zu den TTIP-Dokumenten zu ermöglichen, die vor Ort eingesehen werden können. Kurze Zeit später wird aber auch das CETA-Abkommen als Stiefbruder des TTIP gesehen, denn viele befürchten, dass multinationale Unternehmen mit Hauptsitz in Kanada das Abkommen nutzen könnten und mit voraussichtlichen Vorteilen von TTIP spekulieren. So wird CETA das neue Geheimabkommen, das noch schlimmer oder zumindest genauso schlimm ist wie TTIP. Es gehen Gerüchte um, dass das EU-Kanada-Abkommen das Trojanische Pferd für TTIP sei. Andere Handelsabkommen, wie das EU-Korea-Abkommen hingegen verursachen keinerlei Mobilisierung und so werden TTIP, CETA und TiSA (Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) zu Europas neuen Pferden im Rennen um demokratische Legitimität der EU-Handelspolitik. 

4) Wie wurde CETA zu einem gemischten Abkommen? 

Die Handelspolitik liegt in der alleinigen Zuständigkeit der Europäischen Union, was bedeutet, dass nur die Europäische Union Handelsabkommen mit Drittländern wie Kanada unterzeichnen kann. Aber der Druck von Seiten der Zivilgesellschaft und nationalen Regierungen wuchs und die Legitimität von hinter verschlossenen Türen verhandelten Abkommen wurde in Frage gestellt, so dass die Europäische Kommission am 5. Juli vorschlug, CETA wie ein 'gemischtes Abkommen' zu behandeln. 

Aber was ist ein gemischtes Abkommen? Ein gemischtes Abkommen wird von der EU zusammen mit den Mitgliedstaaten und Drittländern geschlossen. Zuständigkeiten der EU stehen so auf gleicher Ebene wie die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, was dazu führt, dass sowohl die EU als auch die Mitgliedsstaaten das Abkommen ratifizieren müssen. Aber obwohl Mitgliedsstaaten das Abkommen durch ein Referendum oder eine parlamentarische Abstimmung ratifizieren müssen, kann CETA dennoch vorläufig angewendet werden.

Gemischte Abkommen sorgen allerdings für Besorgnis in Bezug auf ihre Legitimität und Effizienz. Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz sagte am Wochenende: „Die demokratische Legitimität der gemischten Abkommen kommt sowohl vom Europäischen Parlament als auch von den nationalen Parlamenten“. Dennoch könnte genau dies zukünftige Abkommen nahezu unmöglich machen. In Zeiten des Brexit sagte die Europäische Handels-Kommissarin Cecilia Malmström am Dienstag in Luxemburg: „Wenn wir es mit Kanada nicht schaffen, bin ich mir nicht sicher, ob wir es mit Großbritanien schaffen werden.“

5) Welche Rolle spielt Wallonien bei der Blockierung von CETA?

Zusätzlich zum kurzen Zeitplan hat der Status des CETA-Abkommens als gemischtes Abkommen zu einer Blockierung von Seiten der Mitgliedstaaten geführt. Zunächst lehnte auch die deutsche Regierung ab, das Abkommen vor der Ratifizierung anzuwenden, bis das deutsche Verfassungsgericht sein grünes Licht gab. Dann äußerten Bulgarien und Rumänien Bedenken und verlangten eine Visa-Garantie für ihre Staatsbürger. Da Kanada den Forderungen aber zustimmen will, werden beide Länder das Abkommen unterzeichnen. 

Aber warum haben wir in den letzten Tagen so viel über Wallonien gehört? Als ein föderaler Staat benötigt Belgien die Zustimmung seiner verschiedenen Parlamente, um das Abkommen zu ratifizieren. Am letzten Donnerstag hatte die belgische französischsprachige Region das CETA-Abkommen abgelehnt und blockiert somit den Abschluss des Abkommens. Allen Verhandlungen voran, Paul Magnette, Walloniens Ministerpräsident, der Zugeständnisse in den Bereichen Landwirtschaft und Öffentlichem Dienst erreichen möchte. Vor wenigen Stunden hat der belgische Premierminister Charles Michel nun offiziell angekündigt, dass Belgien „CETA nicht unterschreiben kann“. Ist das EU-Kanada Handelsabkommen, das eigentlich am kommenden Donnerstag unter Dach und Fach sein sollte, vom Tisch?

Die Europäischen Institutionen hatten gehofft, bis Ende des Monats eine Einigung zu erreichen, wie Donald Tusk am ersten Tag des Europäischen Rats sagte: „Belgien wird noch einmal zeigen, dass es der Weltmeister der Kompromisse ist“. Er fügte hinzu: „Sollten wir nicht in der Lage sein, genug öffentliche Zustimmung zu erhalten, ist es möglich, dass CETA unser letztes Handelsabkommen sein wird“. 

Translated from Why is the whole of the EU talking about CETA?