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Bürgerwut: Regierungsrücktritt in Bulgarien

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Politik

Bulgariens Premier Bojko Borissow hat am Mittwoch den Rücktritt seiner Mitte-Rechts-Regierung angekündigt. Er begründete den Schritt mit den landesweiten Protesten gegen gestiegene Strompreise und den Ausschreitungen im Land. Laut einigen Kommentatoren wurde Borissow vor allem seine Machtgier zum Verhängnis.

Andere prophezeien, dass der kaltschnäuzige Stratege bei Neuwahlen glanzvoll zurückkehren wird.

Dnevnik: Die Macht landete plötzlich beim Volk; Bulgarien

Borissows Machtgier wurde ihm nun zum Verhängnis, analysiert die Tageszeitung Dnevnik: "Borissow hat den Präsidenten, die Justiz, die Medien und die Wirtschaft unter seine persönliche Kontrolle gebracht und glaubte damit alle Macht im Staat auf sich vereint zu haben. Das ließ ihn von außen betrachtet wie ein Koloss erscheinen, doch in Wirklichkeit machte es ihn schwach. [...] Als die Menschen ihm das Vertrauen entzogen, fiel er sofort in sich zusammen. Der Staat, der normalerweise für Ordnung gesorgt hätte, hat versagt, weil Borissow ihn gleichgeschaltet hatte. Und während Borissow dachte, dass er noch alle Macht besitze, landete sie plötzlich ganz woanders - beim Volk. [...] Seiner Macht beraubt, zeigt sich Bojko Borissow nun so als das, was er wirklich ist: ein beschränktes menschliches Wesen; unsicher, aber aufgeblasen; ängstlich, aber vorlaut; ungebildet, aber irgendwie sympathisch. Früher ließen ihn diese Eigenschaften wie einen Helden erstrahlen. Ohne Macht gereichen sie ihm nur zum Nachteil." (20.02.2013)

Der Standard: Spieler, nicht Staatsmänner hat Bulgarien; Österreich

Premier Bojko Borissow will mit dem Rücktritt der Regierung die nächsten Wahlen gewinnen, kommentiert die linksliberale Tageszeitung Der Standard: "'Bulgarischer Frühling' hieß eine Losung, die auftauchte, als ob es darum ginge, einen in Sofia Jahrzehnte herrschenden Despoten und dessen korrupte Familie zu Fall zu bringen und dem Land endlich Demokratie zu bescheren. Die Mehrheit der Protestierenden hat sich für ein solches Stück nicht hergeben wollen. Ihr Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit scheint selbstbestimmt. Denn die von den Sozialisten geführte Koalition, die 2009 im Strudel veruntreuter EU-Gelder unterging, ist den Bulgaren in schlechter Erinnerung, wie Umfragen zeigten. Auch Borissow mag einen Plan haben: auf dem Höhepunkt der sozialen Krise alles hinwerfen, eine Übergangsregierung ein paar Wochen wursteln lassen und dann glanzvoll zurückkehren. Spieler, nicht Staatsmänner hat Bulgarien." (21.02.2013)

Adevărul: Unangemessene Konjunkturprogramme der Troika für Osteuropa; Rumänien

Sozialproteste wie in Bulgarien können sich auf andere EU-Länder ausweiten, meint die liberal-konservative Tageszeitung Adevărul und warnt deshalb davor, den Druck der Straße zu ignorieren: "Denn dieser zeigt deutlich, wie unangemessen manche Konjunkturprogramme waren, die die Troika den krisengebeutelten osteuropäischen Ländern vorgeschlagen haben. Niemand wollte der Wahrheit ins Auge blicken, dass zu viele und harte Sparmaßnahmen zur größten Bremse der Wirtschaftsentwicklung werden können. Die Proteste zeigen, dass die Grenzen des sozial Erträglichen erreicht sind. Die nationalen und europäischen Entscheidungsträger müssen verstehen, wie wichtig es ist, dass im neuen EU-Haushalt 2014-2020 nicht nur das Geld aus den Strukturfonds weiter ausgezahlt wird, sondern dass man auch die Zugangsverfahren erleichtert, damit die Länder die Mittel leichter abrufen können. Geschieht das nicht, wächst die Gefahr, dass Ereignisse wie in Bulgarien auf andere Länder übergreifen. Dann verlieren wir das Vertrauen der Investoren und zerstören, was wir auf unserem europäischen Weg bereits erreicht haben." (21.02.2013)

Hospodářské noviny: Organisiertes Verbrechen in Bulgarien für EU-Verhältnisse einmalig; Tschechien

Tschechien ist indirekt an der innenpolitischen Krise in Bulgarien beteiligt, weil sich die Proteste zehntausender Bulgaren auch gegen die Preispolitik des Prager Energiekonzerns ČEZ richten. Nach Ansicht der wirtschaftsliberalen Tageszeitung Hospodářské noviny ist aber die verbreitete Korruption für die Krise verantwortlich: "Die Regierung kann sich nach vier Jahren im Amt zwar einiger Erfolge rühmen. Das wichtigste Problem aber, die ausufernde Korruption, hat sie nicht gelöst. Gerade die Korruption ist der Grund, dass so wenige ausländische Investoren im Land sind, dass das Wachstum niedrig ist und dass das Land immer noch nicht zum Schengen-Raum gehört. Gemeinsam mit Rumänien steht das Land immer noch unter Kuratel der EU. [...] Ursprünglich wurde der Kontrollmechanismus aus Brüssel für fünf Jahre eingeführt. Aber im vergangenen Jahr wurde eine Verlängerung beschlossen. Der letzte Prüfbericht der EU-Kommission im Juli war nicht eben ermutigend. Ihm zufolge ist das organisierte Verbrechen in Bulgarien für EU-Verhältnisse einmalig und beeinflusst massiv die gesamte bulgarische Ökonomie." (21.02.2013)

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Illustrationen: TEaserbild (cc)georgeXchelebiev/flickr; Video (cc)seyfullah51/YouTube

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