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Bosnien und Herzegowina – Jugoslawien im Kleinformat

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“The Heart-Shaped Land“ – Wenn man einmal davon absieht, dass man ein klein wenig Vorstellungskraft braucht, um in den Umrissen des Bosniens ein Herz zu erkennen, steckt schon etwas Wahres in diesem Werbe-Slogan. Im Herzen des ehemaligen Jugoslawien gelegenen, vereinten sich hier seit jeher Kulturen und Religionen.

Daher wurde Sarajevo in der Vergangenheit auch gelegentlich als europäisches Jerusalem bezeichnet. Der Mix aus moderner, osmanischer und austro-ungarischer Architektur und europäischem sowie orientalischem Ambiente, macht die Hauptstadt Bosniens und Herzegowina noch vor Istanbul zum Ort wo der Westen den Osten trifft. Allerdings sind heute annähernd 80 Prozent der Bevölkerung Sarajevos muslimisch, da viele Anhänger der beiden anderen großen Religionsgruppen (Orthodoxe und Katholiken) während des Bosnienkrieges flohen. Die Metropole steht dafür stellvertretend für das ganze Land.  Das Abkommen von Dayton (1995) spaltete das Bosnien in zwei Teilstaaten. Zum einen in die Republika Srpska, welche mehrheitlich von bosnischen Serben bewohnt wird und sich im Norden und Westen des Landes befindet. Zum anderen in die muslimisch-kroatische Föderation von Bosnien und Herzegowina mit der Hauptstadt Sarajevo. Von Harmonie kann in Bosnien und Herzegowina von heute also nicht wirklich die Rede sein.

 „Dummerweise mögen wir uns hier gegenseitig nicht, das ist unser größtes Problem.“ meint Sladjana Perkovic (29), cafebabel-Redakteurin und gebürtige Serbin aus Banja Luka. „Wir haben hier so viel Potential, doch wir nutzen es einfach nicht richtig. Die Industrie liegt brach und nationalistisches Gedankengut verdirbt die Menschen, die einfach nicht verstehen, dass sie alle gleich sind. Wir leben im selben Land und sprechen die gleiche Sprache, das einzige was uns unterscheidet ist die Religion. Dabei sind die Menschen hier gar nicht so religiös. deswegen verstehe ich nicht woher dieser Hass kommt. Diesbezüglich haben wir die gleichen Probleme, die Jugoslawien auch hatte - 3 große Volksgruppen aber auf noch kleinerem Raum und jeder will für sich selbst bestimmen.“ Hört man diese Worte ist es nicht verwunderlich, dass Menschen mit gemischten Gefühlen in die Zukunft schauen. Einige sprachen auch von der Angst vor neuen Konflikten nach dem Abzug internationaler Beobachter. Neue Konflikte, das ist was die Menschen hier am wenigsten wollen und das Land am wenigsten gebrauchen kann. Sladjana erzählte uns von ihren Erinnerungen aus den frühen 90er Jahren.

„Vom Krieg an sich war in Banja Luka eigentlich nicht so viel zu spüren. Die Güter wurden knapp, die nicht-serbische Bevölkerung vertrieben und einige Moscheen gesprengt. Das waren die drastischsten Auswirkungen. Nachts ließen wir die Fenster offen damit die Druckwelle einer möglichen Explosion diese nicht zerstört. Von den Vertreibungen waren wir auch direkt betroffen. Mein Onkel  musste nach Dänemark fliehen, dort lebt er heute noch. Gegen Ende des Krieges, als es für die Serben nicht gut aussah, bereiteten wir uns auch darauf vor zu flüchten. Wir hatten eine Flasche mit Benzin in unserer Wohnung, die wir hüteten wie einen Schatz. Hätten wir den Sprit im Tank gelassen, wäre er uns mit Sicherheit geklaut worden. Letztendlich wurde aber glücklicherweise der Friedensvertrag unterschrieben.“

Viele Menschen sind es leid über den Krieg zu Sprechen oder wollen ihn ganz einfach vergessen, das ist zumindest was uns erzählt wurde. Dennoch ist es nicht schwer Zeugnisse des Konflikts zu finden. Zum einen sind in den Stadtbildern von Sarajevo und besonders von Mostar noch zahlreiche Kriegsnarben zu finden. Zum anderen – und das ist das Widersprüchliche - verkaufen die Händler in den Straßen Bildbände, DVD´s, Stahlhelme und Souvenirs in Munitionsform -  nicht zu vergessen die Ratko-Mladic-Fanshirts, welche in Banja Luka zum Verkauf angeboten werden. Desweiteren gibt es zahlreiche Fotoausstellungen und Museen zum Thema Bosnienkrieg. Bekanntester Vertreter ist das Tunnelmuseum in Butmir, nahe dem Flughafen Sarajevo. Dieser 800 Meter lange Tunnel versorgte die bosniakischen Verteidiger des belagerten Stadtkerns mit Lebensmitteln, Wasser und Munition. Das Herzstück des Museums ist ein 20-minüterger Film über den serbischen Beschuss Sarajevos sowie Bau und die Funktionsweise des Tunnels. Daneben werden einige Orden und Ehrungen ausgestellt. Es kann passieren, dass man mit dem Gefühl aus der Ausstellung geht nichts besonders gesehen zu haben, da es nicht wirklich viel zu sehen gibt. Aber immerhin waren unter anderem Orlando Bloom, Morgan Freeman und Richard Gere hier. Also muss es ja irgendetwas Besonderes haben…

Sehenswert dagegen ist die Altstadt von Sarajevo mit all den Moschen, Basaren und unzähligen Bars. In einer dieser Bars trafen wir Bárbara Bécares Castaño (26) aus Spanien, welche in Sarajevo einen Blog für cafebabel betreut. Eine Spanierin, die es nach Sarajevo gezogen hat und dort für cafebabel schreibt – Für uns das personifizierte Konzept des Magazins. Wie kommt man dazu von Spanien nach Bosnien zu ziehen, um dort für cafebabel zu schreiben?

„Ich mag den Balkan einfach sehr gern und ich liebe Sarajevo, also bin ich einfach hier her gezogen. Als ich nach Bosnien gekommen bin, habe ich festgestellt, dass cafebabel hier noch nicht vertreten ist. Also dachte ich mir es wäre ein nettes Projekt hier einen Babelblog zu starten, weil mich das Konzept sehr anspricht und ich ein Teil davon sein möchte. Sarajevo ist nicht wirklich populär in Westeuropa. So habe ich bei cafebabel angefragt, ob man nicht gerne jemanden hätte, der das Magazin in Sarajevo vertritt. Ich habe mich dazu entschlossen hier ein Lokal-Team aufzubauen und bin gerade noch auf der Suche nach Mitstreitern, was sich als nicht so einfach erweist, was möglicherweise daran liegt, dass es sich um Freiwilligenarbeit handelt. Deswegen bin ich zurzeit noch Einzelkämpferin.  Sarajevo ist eine Stadt in der viel los ist. Es wäre schön 3 oder 4 Leute zu haben die zu verschiedenen Veranstaltungen gehen  und dann darüber schreiben. Mit der Zeit, so hoffe ich, wird der Babelblog Sarajevo auch über politische und EU-bezogene Themen berichten können. Das möchte ich aber ungern selber machen, da ich noch nicht so vertraut mit dem Land bin und ich keine Unwahrheiten schreiben will.“

Geht es nach der Meinung von Bárbara und Sladjana ist ein EU-Beitritt in weiter Ferne. „Ich denke die EU wird zusammenbrechen bevor Bosnien und Herzegowina zum Beitritt bereit ist.“ meint Sladjana etwas sarkastisch. „Aber ich hoffe es wirklich, weil das meiner Meinung nach der einzige Weg ist, wie wir wieder zusammenfinden können. Es wäre wie eine Wiedervereinigung. Doch da gibt es noch einige Hürden zu meistern. Wir haben hier eine sehr schwache Wirtschaft und dann natürlich die Uneinigkeit zwischen den beiden Teilstaaten. Das ist unser größtes Problem.“ Uneinigkeit zwischen den Entitäten, das ist auch für die Europäische Union das Hauptproblem, die vor nicht allzu langer Zeit Bosniens europäische Perspektive bekräftigte, aber unmissverständlich klar machte, dass dies unmittelbar mit der „territorialen Integrität“ von Bosnien und Herzegowina zusammenhängt. Das könnte wiederum zu Problemen führen, da in der Republika Srpska immer wieder Stimmen laut werden, die die Unabhängigkeit der serbischen Teilrepublik fordern.

Dem politisch nichtinteressierten Bürger könnte das möglicherweise beim Fußball aufgefallen sein. Der Bosnische-Fußball-Verband wurde im April von der UEFA und der FIFA zwischenzeitlich suspendiert, da dessen Mitglieder sich nicht auf einen Präsidenten einigen konnten. Wie auch auf politischer Ebene gab es im Verband 3 Präsidenten: einen Bosniakischen, einen Serbischen und einen Kroatischen. Dieses Problem konnte allerdings gelöst werden, so dass die Bosnische Fußballnationalmannschaft auch weiterhin an den Wettbewerben der FIFA und UEFA teilnehmen kann. Jedoch verdeutlicht es die Probleme, welche in Bosnien vorherrschen. Soll heißen: Wenn man sich schon beim Fußball nicht einig ist, wie soll es da in der Politik klappen.

Auch 16 Jahre nach Dayton ist noch immer keine Einigkeit im Herzen des Balkans eingekehrt. „Wenn ich es kurz und knapp sagen müsste würde ich es wohl wie folgt ausdrücken.“ meint Sladjana abschließend. „Bedingt durch die geografische Lage Bosniens und Herzegowinas, waren wir hier schon immer inmitten der Probleme. Heute sind wir einfach nur ein kleines Land das versucht zwischen Serbien und Kroatien zu bestehen und einen Weg in die EU zu finden. Für die Menschen hier und den Frieden in der Region hoffe ich einfach, dass das funktioniert.“

Christian Geipel

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