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Berlinale: filmische Reisen ins Ich

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Berlin

von Christiane Lötsch Wer bin ich? Wo komme ich her? Diese Fragen beschäftigen die beiden starken jungen Charaktere Sajid in den Filmen „West is West“ (Andy De Emmony) und Cenk in „Almanya – Willkommen in Deutschland“ (Samdereli Schwestern). Beide Filme antworten mit einer Reise der Protagonisten in ihr Ursprungsland, die das Selbstbild und das Leben ihrer Familien verändert.

Lediglich der Erzählton ist unterschiedlich.

Multikulti ist tot? „Almanya – Willkommen in Deutschland“ spielt auf sehr intelligente Art und Weise mit allen erdenklichen Klischees, die Türken von Deutschen haben. Er erzählt ausschließlich aus türkischer Perspektive und so kommt es, dass Axel Milberg als wild stempelnder Beamte folgende Bedingungen an den Erhalt des deutschen Pass knüpft: Mitglied in einem Schützenverein werden, zweimal die Woche Schweinefleisch essen, jeden Sonntag „Tatort“ gucken und in den Sommerferien nach Mallorca fahren. Großvater Hüseyin Yilmaz schreckt aus seinem Alptraum auf.

Almanya_2.jpg Filmstill Almanya - Willkommen in Deutschland

In der Grundschule sagt Cenk, dass sein Opa aus Anatolien komme; doch die Europakarte geht nur bis Istanbul, was der Lehrerin einen bitterbösen Blick von dem kleinen Jungen einbringt. Sein Vater wurde in Deutschland geboren, spricht besser deutsch als türkisch, fühlt sich aber als Türke. „Was sind wir denn nun?“ Durch diese Ausgangsfrage wird ihm die humovolle Geschichte vom Großvater Hüseyin und seiner Frau in Rückblenden an verschiedenen Momenten des Films erzählt. Wie der Großvater dem Ruf (aus den Lautsprechern der Moschee) der deutschen Regierung folgte und mit seinen Hoffnungen und Wünschen nach Deutschland kam - in der nächsten Einstellung sieht man ihn voll bepackt aus dem ALDI kommen. Wie er am Anfang kein Wort von dem versteht, was die anderen ihm sagen („Müh schkul pratti pring klonk wa.“) Wie er seine Familie nach Deutschland holt, die den Jesus am Holzkreuz als Erschreckungsutensil für den kleinen Bruder verwendet. Die Familienreise nach Anatolien – der Großvater hat ein Haus gekauft – verändert Cenks Leben, denn der Großvater stirbt auf dem Beifahrersitz, inmitten seiner Angehörigen. Der Wechsel zwischen Rückblenden und der aktuellen Filmerzählzeit löst sich am Ende des Films auf: alle Generationen sitzen beim Picknick zusammen. Der, der man ist, ist man durch diejenigen, die vor einem, mit einem und nach einem sind.

West is West

Filmstill West is West

Auch Sajid muss eine Lektion lernen. Er ist ein Teenager, wohnt in Nordengland, flucht ständig und wird wegen seines pakistanischen Vaters in der Schule für seine Herkunft gehänselt. Seinen Frust lässt er an seinem Vater aus, so dass dieser beschließt, mit ihm nach Pakistan zu reisen, damit er Respekt und Disziplin lernt. Sajid lernt, aber auf andere Weise, wie der Vater es vorhatte. Er freundet sich mit einem älteren Mann an, der ihm die Geheimnisse und Schätze des Landes zeigt. Sein Sohn ist in Sajids Alter und ein treuer Begleiter durch das farbenfrohe Land. Nach einiger Zeit legt er den englischen Schulanzug für traditionelle Gewänder ab. Zum ersten Mal fühl er sich wohl in seinem Körper. Sajid fädelt sogar die Hochzeit seines Bruders ein, weil dieser wegen seines Vaters, der seine Familie für die Reise nach England verließ, keine Frau bekam. Die langen Kameraeinstellungen auf die magische Landschaft wechseln sich von Zeit zu Zeit mit einer schnellen Handkamera und einem dynamischen Schnitt ab, zum Beispiel, wenn die beiden Jungen den Mädchen auf den Dächern des Dorfes hinterher rennen oder sie von einem Büffel ins Wasser springen. Pakistanische Musik belebt Sajids Suche nach sich selbst auf gefühlvolle Weise.

Dass eine Integrationsgeschichte nicht immer mit Konflikten und Problemen beladen sein muss, beweisen die Schwestern Samdereli in „Almanya – Willkommen in Deutschland“ auf berührende, warme und humorvolle Art und Weise. Sie beenden den Film mit dem Ausspruch von Max Frisch „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen.“, ein Spruch, der an die Menschlichkeit im Umgang miteinander appelliert und noch immer Gültigkeit besitzt. Auch „West is West“ stimmt versöhnliche Töne an; das Lernen über sich selbst hört nie auf, egal woher man kommt.

Filmstills @ Internationale Festspiele Berlin