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Anti-Islam-Film 'The Innocence of Muslims': Fremdenfeindlicher Frühling

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Politik

Die Unruhen in mehreren muslimisch geprägten Ländern nach dem Anti-Islam-Film The Innocence of Muslims aus den USA dauern an. Am Wochenende demonstrierten tausende Menschen in Afghanistan und Pakistan, die radikalislamische Hisbollah im Libanon rief in einem Video zu Protesten auf. Einige Kommentatoren halten die Differenzen zwischen dem Westen und der islamischen Welt für unüberbrückbar.

Für andere sind die Proteste eine Fortsetzung des Arabischen Frühlings.

Der Standard: Den Revolten von 2011 nicht unähnlich; Österreich

Themen zum Arabischen Frühling auf cafebabel.com

Die Dynamik der Proteste, die durch einen islamfeindlichen Amateurfilm ausgelöst wurden, erinnert die linksliberale Tageszeitung Der Standard an die Revolutionen des arabischen Frühlings: "Im Grunde genommen sind die heutigen Demonstranten - deren Masse man keinesfalls überschätzen sollte - den Revoltierenden von 2011 nicht unähnlich: Ein gemeinsamer Slogan verbindet sie, kratzt man etwas daran, dann wird man auf unterschiedliche Hintergründe und Motivationen stoßen. Aber sie entlarven einmal mehr als Kitsch, was bei Ausbruch der Revolutionen medial verkündet wurde: Die Zeit der Fixierung der Region auf konstruierte äußere Konflikte sei vorbei, die Probleme würden als innere erkannt, benannt und bearbeitet werden. Auch wenn bei den Revolutionen keine US-Fahnen brannten, so waren die alten Regime ja doch auch deswegen verhasst und delegitimiert, weil sie als Marionetten einer imperialistischen Politik galten. Die Ressentiments wurden nicht geheilt, es sind sogar noch neue hinzugekommen: die der Säkularen und Liberalen, die die USA beschuldigen, nun mit den Islamisten zu packeln." (17.09.2012)

Süddeutsche Zeitung: Identität ist in der Region untrennbar verbunden mit dem Islam; Deutschland

Die Angriffe gegen westliche Botschaften sind symptomatisch für den Selbstfindungsprozess vieler muslimisch geprägter Länder und an sich nicht gegen den westlichen Lebensstil gerichtet, analysiert die linksliberale Süddeutsche Zeitung: "Die Jemeniten und Ägypter, die Brandsätze auf US-Botschaften werfen, telefonieren sich mit dem iPhone zusammen und erfrischen sich nach der Randale mit einer Coca-Cola. [...] Die arabische Welt befreit sich von der Fremdbestimmung, die sie seit dem Ende des Osmanischen Reichs 1918 erlebt. Gestürzt wurden in Mubarak oder Gaddafi einheimische Diktatoren. Sie waren auch Handlanger des Westens oder Moskaus. Die Aufstandsbewegung setzt die ins Leere gelaufenen säkularen Revolutionen und Militärcoups der Fünfzigerjahre fort: Es geht um Mitbestimmung im Inneren, aber auch um Selbstbestimmung als Ägypter, Tunesier und als Araber. [...] Identität ist in der Region untrennbar verbunden mit dem Islam. [...] Deshalb spielen religiöse Ideologien ihre Rolle bei der Suche nach dem Eigenen - ob im Parlament oder beim wütenden Mob." (17.09.2012)

Dnevnik: In den USA hat man die Meinungsfreiheit auf einen hohen Sockel gestellt, in der arabischen Welt den Koran; Slowenien

Auch wenn die gewaltsamen Proteste im Nahen Osten zwischenzeitlich wieder abgekühlt sind, drohen in der Region weitere Konflikte, fürchtet die linksliberale Tageszeitung Dnevnik: "Der neue Konflikt im Nahen Osten mit all seiner Gewalt ist nämlich dadurch bedingt, dass es zwischen den USA und den arabischen Ländern einen grundlegenden und kurzfristig auch unüberbrückbaren Unterschied gibt: In den USA hat man, bedingt durch die Verfassung, die Meinungsfreiheit auf einen hohen Sockel gestellt, in der arabischen Welt den Koran. Es handelt sich also wirklich um einen Kampf zwischen zwei Zivilisationen. Und die ambivalente Nahostpolitik der USA und die Transformationsprozesse in den Ländern, in denen das Volk die Regime gestürzt haben, die Washington jahrzehntelang unterstützte, machen diesen nicht weniger kompliziert." (17.09.2012)

De Tijd: Wenn es keine Meinungsfreiheit mehr gibt, ist auch ein Dialog nicht mehr möglich; Belgien

Die USA haben Google gedrängt, den Anti-Islamfilm The Innocence of Muslims von der Videoplattform YouTube zu entfernen, der die Proteste in der muslimischen Welt ausgelöst hatte. Das kritisiert die Wirtschaftszeitung De Tijd: "Die Meinungsfreiheit kennt schmutzige Seiten und hat mit gutem Geschmack und Anstand manchmal wenig zu tun. Dass die USA nun besorgt sind, ist verständlich. [...] Aber auf die gewaltsamen Proteste mit einer Bitte um Zensur zu reagieren, ist besonders unklug. In der muslimischen Welt gibt es eine Strömung, die sich stark von der westlichen Welt und ihren Werten absetzt. Deren Anhänger fühlen sich schnell in die Ecke gedrängt und beleidigt. Als Folge gibt es im Westen eine ebenso starke anti-islamistische Strömung. Freie und unabhängige Meinungen fallen diesen Fronten zum Opfer, auf der einen wie auf der anderen Seite. Doch wenn es keine Meinungsfreiheit mehr gibt, ist auch ein Dialog nicht mehr möglich. Wenn man sich der Gewalt beugt, verstummt zwar die ungerechtfertigte Kritik. Diktaturen werden dadurch groß, das stimmt, aber offene und demokratische Länder dürfen sich auf diesen Weg nicht begeben." (17.09.2012)

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Illustrationen: Teaser (cc)Örlygur Hnefill/flickr

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