2014: Invasion der Barbaren oder Optimismus von Riga?
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Brüssel hat den Wegfall der letzten Job-Schranken für Rumänen und Bulgaren zum 1. Januar verteidigt. Hürden für Beschäftigte seien keine Antwort auf die Krise, erklärte EU-Sozialkommissar László Andor am Mittwoch. Dass Großbritannien arbeitslosen Zuwanderern nun Sozialleistungen kürzt, halten Kommentatoren für Populismus.
The Independent: Es wurden schon Bulgaren in Briefkästen gesichtet; UK
Mit Einschnitten bei den Sozialleistungen will die britische Regierung eine vermeintliche Massenzuwanderung aus Rumänien und Bulgarien verhindern. Die linksliberale Tageszeitung The Independent mokiert sich über die schrille Stimmungsmache: "Es wurden schon Bulgaren in Brotkästen gefunden, hinter Heizungen und in Teekannen; Rumänen verstopfen den Abfluss in der Badewanne, knabbern an Schokoriegeln, die auf Küchentischen liegen gelassen wurden, und lesen im Bad laut den Ratgeber 'So beanspruche ich Sozialleistungen'. Zurück in der Realität hat die zynische und künstlich angeheizte Anti-Immigrations-Kampagne eine lange Geschichte. [...] Das Ziel ist immer gleich: Die Eliten kommen ungeschoren davon und machen stattdessen Ausländer für alle Missstände in der Gesellschaft verantwortlich. [...] Dabei sieht die Wahrheit doch so aus: Großbritannien selbst ist die weltweit zehntgrößte Quelle von Immigration, und Untersuchungen zeigen, dass Zuwanderer mehr zur Gesellschaft beisteuern als sie nehmen." (01.01.2014)
El Pais: Polnisch-ungarische Zuwanderung positiv für britische Wirtschaft; Spanien
Großbritanniens Premier David Cameron geht im Kampf gegen die Freizügigkeit von falschen Prämissen aus, meint die linksliberale Tageszeitung El País: "Denn Rumänen und Bulgaren neigen nicht dazu, sich in Großbritannien anzusiedeln. Ihre Zahl erreicht dort nicht einmal 15 Prozent derjenigen, die in den vergangenen Jahren nach Spanien oder Italien gekommen sind. [...] Und die Zuwanderung von Polen und Ungarn, die Cameron als negativen Präzedenzfall anführt und als großen Fehler seiner Amtsvorgänger kritisiert, hat sich sehr positiv auf die britische Wirtschaft ausgewirkt. Der positive Saldo-Betrag, der sich durch Aufrechnen der Kosten und Gewinne durch die Zuwanderung ergibt, wird auf mehrere Milliarden britische Pfund geschätzt. Und unabhängige Studien belegen, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit durch die Einwanderung erhöht hat." (02.01.2014)
Novinite.bg: Europa hat Angst vor uns; Bulgarien
Das Misstrauen der Menschen in Großbritannien und Deutschland gegenüber den Bulgaren hat kulturelle Gründe, meint das Nachrichtenportal Novinite.bg: "Der typische Westeuropäer fürchtet den typischen Bulgaren. Er traut ihm instinktiv nicht über den Weg und fühlt sich von seinem Charakter und seiner direkten und offenen Umgangsweise bedrängt. Der typische Bulgare ist traditionsbewusst und archaisch und das macht ihn gefährlich für den Westen, weil seine Urwüchsigkeit den dortigen Status quo ernsthaft in Frage stellen kann. Europa hat Angst vor uns, weil wir anders sind, weil wir in der Vergangenheit anders gelebt haben und weil wir die Welt ganz anders wahrgenommen haben. Das ist aber kein Grund, uns zu hassen oder gar zu fürchten. Schließlich sind wir auch Menschen und haben auch etwas zu geben." (01.01.2014)
La Repubblica: Schicksalsgemeinschaft schwindet; Italien
Dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit bei Briten und Deutschen Panik auslöst, hält die linksliberale Tageszeitung La Repubblica für schizophren: "Während Lettland mit einem Feuerwerk den Beitritt zur Währungsunion feiert, löst die Aufhebung der Einschränkungen von Schengen im 'alten' Europa eine Welle der Angst und Intoleranz aus. Der Solidaritätssinn, der die Errichtung dessen ermöglichte, was die EU-Verträge als 'Schicksalsgemeinschaft' definieren, schwindet. [...] Wer wird 2014 gewinnen: der Optimismus von Riga oder die grimmige Miene derer am Flughafen Heathrow, die die Invasion der Barbaren fürchten, die ausbleiben wird? Die beiden Seiten der schizophrenen Union stehen sich seit sechs Jahren gegenüber, seit dem Beginn jener Krise, die ausnahmslos alle Gründungswerte zur Disposition gestellt hat. Die einzig mögliche Vorhersage ist, dass die Schizophrenie auch im neuen Jahr anhalten wird. Die entscheidende Schlacht im langen Krieg Europas mit sich selbst ist noch nicht geschlagen." (02.01.2014)
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